Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Die eigentümliche Geschichte der ostfriesischen Inseln
Peter Kremer M.A.
veröffentlicht in: Fansa, M. (2006): Mensch und Meer, Küste und Marsch - Eine ewige Liebesgeschichte.
Schriftenreihe des Landesmuseums für Natur und Mensch Oldenburg, Heft 44. Oldenburg, 2006.

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Fernsicht auf Spiekeroog (Foto: P. Kremer)

Als die Inseln auftauchten
Die ostfriesischen Inseln erleben im Vergleich zum „Festland“ mit seiner Marschenkultur ihre ganz eigene Geschichte. Sie sind später aufgetaucht, wurden später besiedelt, weisen andere naturräumliche Lebensbedingungen auf, der über 200jährige Bäderverkehr hat die Inseln stärker überformt, und sie sind umfassender betroffen und eingebunden in die Grenzen und Richtlinien des Nationalparks „Niedersächsisches Wattenmeer“, der am Festland meist außendeichs beginnt.

Nachdem die pleistozänen Geestkerninseln von holozänen Sedimenten überdeckt waren, bildeten sich am nördlichen Rand des Wattenmeeres Sandplaten, die im Laufe der Jahrhunderte um Christi Geburt über MThw hinauswuchsen. Kaum war der Sand getrocknet, wehte ihn der Wind vor sich her, bis er sich schließlich im Windschatten von Pionierpflanzen wie Strandhafer oder Meersenf, aber auch von angespültem Treibgut und anderen „Sandfängern“ absetzte. Erste Dünen entstanden. An den dem Wattenmeer zugewandten Südseiten sorgten die Pioniere Queller und Andel dafür, dass Salzwiesen über MThw emporwuchsen. Im Unterschied zur Strandvegetation fangen sie ihre Sedimente nicht aus dem Wind, sondern aus dem Wasser.

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Abb. 1: Schema der Entstehung einer Dünen- oder Barriere-Insel. Aus Brandungssandbänken werden Schwemmsand-Platen, auf denen sich,
wenn sie über MThw hinausgewachsen sind, erste kleine Dünen (Primärdünen) bilden können.
Auf der Wattenseite wachsen Salzwiesen auf. (Pott, 1995, S. 54)

Wann erste Siedler auf die Inseln kamen ist unbekannt. Die ältesten bisher bekannten urkundlichen Hinweise reichen in das 13. und 14. Jh. zurück. In einer Lehensurkunde von 1398 heißen sie „Borkyn, Just, Burse, Oesterende, Balteringe, Langoch, Spikeroch, Wangeroch“ (zit. nach de Wall, 1991). Burse (oder Buise) war wegen starker Erosionserscheinungen nur bis 1541 bewohnt, im Verlauf des 17. Jhs. war sie schließlich von den Fluten vollständig aufgerieben. Die abgetragenen Sande führten zu einem starken Längenwachstum der östlich gelegenen Insel Osterende, die heute Norderney heißt.

Voraussetzung für die Besiedlung der Inseln waren halbwegs lagestabile Dünen, die den Siedlungen Schutz boten, und Salzwiesen an den Wattseiten, die eine bescheidene Viehwirtschaft ermöglichten. Ehlers (1986) geht von drei bedeutenden Dünenbildungsphasen aus, von denen er die erste für den Zeitraum vom 13. bis 15. Jh. angibt, also für eben jenen Zeitraum, in den die ersten urkundlichen Hinweise fallen. Eine frühere dauerhafte Besiedlung der Inseln wäre demnach vermutlich auszuschließen. Streif (1990) konnte allerdings den Nachweis führen, dass zumindest auf Juist bereits vor über 1500 Jahren Dünen bestanden haben.

Das Leben auf den Inseln war für die Insulaner nicht immer einfach. Der sandige Boden war karg, und die vergleichsweise wenigen Salzwiesen boten wenig Weideland für das Vieh. Zudem waren sie unbedeicht und wurden fast jeden Winter von einer oder mehreren Sturmtiden überflutet. Nicht selten wurde das Vieh zum Weiden in die Dünen getrieben. Neben der Viehwirtschaft war der Fischfang von großer Bedeutung, in Gärten wurde Gemüse angebaut, aus Möwennestern Eier gestohlen, und Kaninchen wurden gejagt. Wichtige Export-Artikel waren Kaninchenfelle und Schill (Muschelschalen, die in Kalkbrennereien zu einer Art Mörtel verarbeitet wurden).

Auch Schiffstrandungen spielten nicht zuletzt als makabrer, unerwarteter Strandgut-Segen von je her für die Insulaner eine wichtige Rolle. Die friesische Inselwelt mit ihren ausgedehnten Wattflächen, den Sandriffen, starken Strömungen und saisonal sich häufenden stürmischen Wetterlagen war (und ist noch) für die Schifffahrt eine gefährliche Gegend. Immer wieder kam es zu Schiffbrüchen und Strandungen. Das Strandrecht billigte den Insulanern zu, angetriebene Güter zu eigenem Zweck zu bergen, wenn auch (so z.B. ein Gesetz aus dem Jahre 13.Jh) nur dann, wenn niemand von der Besatzung des Schiffes überlebt hatte. Dieses Gesetz zum Schutze der Handelsgüter führte jedoch dazu, dass Hilfeleistungen oft unterblieben und - schlimmer noch - Überlebende von den Insulanern erschlagen wurden. Es heißt sogar, dass Insulaner gerade in den Sommermonaten, wenn Strandungen wegen des sichereren Wetters ausblieben, mit Hilfe falscher Leuchtfeuer Schiffe auf die Sandbänke gelockt hätten.

Ab der Mitte des 15. Jhs. beanspruchten die Landesfürsten die am Strand angeschwemmten Güter für sich. Sie formulierten Strandordnungen zur Bergung von Treibgut und setzten Vögte auf den Inseln ein, um für die Einhaltung des Strandrechts zu sorgen. Die Inseln waren zu jener Zeit Herrenland, d.h., dass die Insulaner kein Grundeigentum besaßen, sondern der Landesherrschaft direkt unterstellte Erbpächter waren. Von Zöllen oder Steuerabgaben waren sie meistens auf Grund „ihrer großen Armuth wegen jederzeit […] befreyet gewesen.“, wie es in den „Historisch-statistische[n] Nachrichten von den Inseln Spiekeroog und Langeoog (1777)“ heißt (zit. nach de Wall, 1991).

Strandgut hat noch immer eine wenn auch äußerst geringe Bedeutung für das Inselleben. Von primärer Bedeutung ist heute im Gegenteil die Rettung aus Seenot durch die DGzRS (Deutsche Gesellschaft zur Rettung Schiffbrüchiger).

Bewegte Zeiten
Die ohnehin schon beschwerliche Existenzsicherung wurde zusätzlich erschwert durch die ungeheure Dynamik der geomorphologischen Kräfte, die an den Inseln zerrten und sie ständig in Bewegung hielten. Anders als die Marschenlandschaften, die relativ geschützt im Schatten der Deiche lagen und sich nur gelegentlich, dann aber dramatisch durch schwere Katastrophenfluten veränderten, war die Scholle des Insulaners ständig in Bewegung. Der tägliche Strom der Gezeiten nagte an den Westköpfen der Inseln, die dadurch unter starkem Sandverlust litten; die Dünenzüge waren wohl höher, in ihrer Substanz aber weniger standhaft als die Deiche des Festlandes; und der Wind wehte den lockeren Sand unbewachsener Dünenpartien über Insel, Dorf und Weideland. Entsprechend änderten die Inseln permanent ihre Gestalt, und nicht selten mussten die Dörfer aufgegeben und an anderer Stelle wieder aufgebaut werden. Vor allem ab 1650 durchliefen alle Inseln eine Phase dramatischer Umgestaltung, die v.a. Abbrüche im Westen und Verlängerung nach Osten bedeutete. Möglicherweise lag die Ursache dafür in Änderungen des Strömungshaushalts im Küstenvorfeld, hervorgerufen durch Buchten, die durch die schweren Katastrophenfluten gerissen wurden oder umgekehrt, durch großflächige Landgewinnungsmaßnahmen und der damit verbundenen zunehmenden Verkürzung der Deichlinie.

Auf Juist z.B. zerbrach 1651 der bis dahin durchgängige Dünenzug im Bereich des Hammers (heute noch als Hammersee erkennbar), und das Inseldorf musste aufgegeben und verlegt werden. Doch auch das neue Dorf fiel 1715 einer Sturmflut zum Opfer. Zwei neue Dörfer wurden im Westen und im Osten der Insel errichtet, aber nur zwei Jahre später ging der westliche Ort schon wieder in der Weihnachtsflut von 1717 unter.

Norderney war aus dem Untergang der Insel Buise und dem Anwachsen der Insel Osterende hervorgegangen (s.o.). Um 1650 verlor die Insel an der westlichen Seite im Schnitt 4 m pro Jahr, während sie sich gleichzeitig um rund 11 m pro Jahr nach Osten verlängerte. Danach war die Sandversorgung wieder so gut, dass die Sturmfluten 1717 und 1825 kaum Schäden hinterließen. Auch das Inseldorf war sehr lagestabil und entspricht noch heute ungefähr der Lage von 1750.

Baltrum verlor ab 1650 bis wenigstens 1750 im Westen rund 10 m pro Jahr. 1717 zerbrach die Insel (Timmermannsgat). 1738 lagen die Reste einer ehemaligen Siedlung am Weststrand. Die um 1753 errichtete Kirche musste kurz nach 1800 aufgegeben und 600 m weiter östlich wieder aufgebaut werden. Zwischen 1825 und 1840 brachen am Westkopf der Insel sogar rund 40 m pro Jahr ab. Das Westdorf musste schon 1825 aufgegeben werden und wurde in der Mitte der Insel neu errichtet. (Streif, 1990)

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Abb. 2: Wangerooge im Wandel seit 1650 (Streif, 1990, S. 237).

Flugsand und Wanderdünen machten den Insulanern nicht weniger zu schaffen. Nach de Wall (1991), musste das Langeooger Dorf im 17. Jh. allein wegen des Flugsandes ca. alle 30 Jahre verlegt werden. Der Insulaner Meent Eden schrieb 1712 in einem Brief an die Regierung: „Es ist mir unmöglich, auf der Insel länger zu wohnen. Mein Haus steckt beinahe ganz im Sande und es droht, davon niedergerissen zu werden. Ich und die meinen können nicht einmal ohne Inkommodierung des Sandes essen. Ingleichen können nunmehro weder Kühe noch Schafe noch Gänse auf der Insel gehalten werden, weshalber dann unmöglich ist, auf selbiger fernerhin zu subsistieren.“ (zit. nach Tongers, J., 1961) Nach der Weihnachtsflut 1717 und darauf folgenden weiteren Sturmfluten waren die Dünen so zerrissen, dass Langeoog bis 1723 zwei Jahre lang unbewohnt blieb. Und auch von Spiekeroog ist überliefert, dass Sandwehen bis ins 19. Jh. starke Probleme verursachten.

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Abb. 3: Geographisch nicht ganz korrekt: Die ostfriesischen Inseln bei Homann in der Weihnachtsflut 1717:
Alle Inseln völlig überspült (grüne Färbung) und Juist gar ausradiert.
(Landesmuseum für Natur und Mensch, Kt. Nr. 459)

Das Problem des Flugsandes bestand nicht deshalb, weil die Dünen noch jung und unbewachsen gewesen wären, sondern weil offenbar der Zusammenhang zwischen einer geschlossenen Vegetationsdecke und dem Wandern der Dünen nicht ausreichend begriffen worden war. Strandhafer diente als Flechtmaterial oder Viehfutter, mitunter wurde das Vieh sogar zum Weiden in die Dünen getrieben.

Als im Laufe des 16. und 17. Jhs. nicht nur dieser Zusammenhang, sondern auch die Bedeutung wehrhafter Inseln für den Festlandsschutz erkannt wurde, kümmerten sich zunehmend die Landesherren um den Insel- und Dünenschutz. Niederländische Dünenmeyer kamen auf die Inseln, ließen Helm (Strandhafer) im Kreuzverband auf unbewachsene Deichflanken setzen und Sandfangzäune aus Buschfaschinen am Strand errichten, um das Dünenwachstum zu beschleunigen. (Die meisten der neuen Techniken und Entwicklungen in Insel- und Küstenschutz haben sich in den Niederlanden entwickelt und breiteten sich von da nach Osten aus. Vgl. Knottnerus (2005)). Der Inselschutz musste seine eigenen Strategien entwickeln. Der festländische Küstenschutzes, wo immer sicherer werdende Deiche eine halbwegs lagestabile Marsch schützten, war auf die Inseln nur bedingt übertragbar. Gegen Strandverlust und Flugsand halfen keine Deiche.

Aber steigende Bevölkerungszahlen und Überweidung von Weideland und Dünen ab dem Ende des 18. Jhs. verschlechterten die Dünenstabilität auf den Inseln wieder. Auch die vielen Kaninchen trugen durch Helmfraß und Höhlenbau in den Dünen dazu bei. Für Langeoog z.B. wurden 1822 im Osten der Insel wieder kahlgefressene Dünen und von Flugsand überdecktes Weideland festgestellt. Schuld seien v.a. die Kaninchen. Wegen der Wichtigkeit des Kaninchenfell-Exports entschloss man sich hier dennoch erst 1870, die Kaninchen auszurotten und durch Hasen zu ersetzen. (vgl. Abb. 6)

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Abb. 4: Menschlich, all zu menschliche Düne. Ab dem 17. Jh. wurde zunehmend mit Unterstützung
holländischer Fachleute (Dünenmeyer) Dünenschutz betrieben. Eine Methode neben anderen war,
durch das Setzen von Helm (Strandhafer) das Aufwachsen junger Dünen zu beschleunigen oder
unbewachsene Partien zu sichern. Diese Methode wird, allerdings mit anderen technischen Möglichkeiten,
immer noch angewendet. Im Bild wurden auf der Innenseite eines bedrohten Dünenzuges zur Verstärkung
künstliche Dünen aufgeschüttet, und in Reih und Glied Helm darauf gesetzt. Das verrät genauso viel
über die Prinzipien des Dünenwachstums wie über die Eigenarten des Menschen.
(Dünenschutzmaßnahme des NLWKN im Pirolatal auf Langeoog, 2005. Foto: P. Kremer)

Die Insel als Arznei
Bis ins 18. Jh. hinein änderte sich an den Lebensbedingungen auf den Inseln vermutlich nur wenig, auf manchen Inseln auch darüber hinaus. Die Neuzeit ging zunächst scheinbar spurlos an ihnen vorüber. Andernorts aber nahm ein neues Naturverständnis seinen Lauf, mit dem eine zunehmende und bis in die Gegenwart andauernde „Verwissenschaftlichung“ des Alltags, ein enormer Schub für den sogenannten technischen Fortschritt, und eine Vorstellung von der Natur als eine durch die Vernunft des Verstandes beherrsch- und nutzbare natürliche Ordnung verbunden war.

So wurde die Heilkraft des Meerwassers wiederentdeckt. Zwar war sie schon den Griechen und Römern bekannt und lieb, unterlag aber kulturepochenabhängigen Moden. Den Tiefpunkt bildeten Barock und Rokoko (17./18. Jh.), als die Körperpflege mittels Wasser als unschicklich galt und stattdessen Pudern angesagt war. Diese Haltung mag auch mit der Verunreinigung der Flüsse und Gewässer zu tun haben, aus denen die Menschen des Mittelalters ihr Trink- und Waschwasser geschöpft hatten. Schließlich aber wurde die „Balneologie“, die Lehre von der medizinischen Wirkung und Anwendung des Wassers wiederentdeckt und weiterentwickelt (genauso wie schließlich der Zusammenhang zwischen der Verschmutzung des Wassers und der Ausbreitung von Krankheiten). Die Entwicklung des modernen Seebadeverkehrs, wie wir ihn heute kennen, ging von England aus. Als Vater der Thalasso-Therapie gilt der englische Arzt Richard Russel (1700 – 1771).

Georg Christoph Lichtenberg (1742 – 1799), Göttinger Hofrat, Physiker und Schriftsteller, der in die jungen britischen Bäder Brighthelmstone (heute Brighton), Margate und Southampton gereist war, plädierte 1793 in einem Aufsatz für den „Göttinger Taschenkalender“ für die Einrichtung großer, öffentlicher Seebäder auch in Deutschland. Noch im gleichen Jahr wurde in Heiligendamm / Bad Doberan an der Ostsee das erste deutsche Seebad errichtet, gegründet durch Samuel Gottlieb Vogel (1750 – 1837), der zeitgleich mit Lichtenberg in Göttingen studiert hatte. Lichtenberg selbst hatte das nordseeische Cuxhaven favorisiert, aber der dortige Wasserbaukondukteur Woltmann hatte Bedenken wegen des in Wind- und Gezeitenabhängigkeit schwankenden Salzgehaltes und empfahl die ohnehin etwas „friedfertigere“ Ostsee als Standort. (Schormann, 1993)

Aber schon die nächsten Seebadgründungen erfolgten an der Nordsee: 1797 auf Norderney und 1804 auf Wangerooge und in Dangast. Der Erkenntnisstand in der Medizin wies darauf hin, dass die Nordsee bei vielen Krankheiten die besseren Heilungserfolge versprach:

Obgleich an beiden Gewässern die nehmlichen Krankheiten mögen geheilt werden, so kann man doch glauben, daß in manchen Fällen die Intensität des Uebels und der ganze Zustand des Individuums hier einen anderen Erfolg, als dort erwarten lassen, da die Einwirkung des Nordseewassers offenbar reitzender und stärker als das der Ostsee seyn muß. Diese seine Eigenschaft ist wahrscheinlich in dem größeren Gehalt an mineralischen Stoffen, dann in der Ebbe und Fluth, und endlich in der stärkeren Bewegung gegründet.“ (Chemnitz, 1833)

Diese ersten Seebäder wurden nicht von Insulanern gegründet, sondern durch die jeweiligen Landesherrschaften. Zum einen lockte die Aussicht auf unbeschwerte sommerliche Aufenthalte an der See, zum anderen hatten die Inseln neue Impulse für eine wirtschaftliche Entwicklung bitter nötig. Norderney war schon im 17. Jh. gelegentlich von den Familien der Landesherrschaften besucht worden. 1797 war die Insel mit 543 Bewohnern im Vergleich zu den anderen Inseln relativ dicht besiedelt (1777 lebten auf Langeoog 39 Insulaner in 11 Häusern, und noch 1816 erst 78 Insulaner in 16 Häusern). Schon auf Grund der vorhandenen Infrastruktur lag Norderney als Standort für eine erste Seebad-Gründung an der Nordsee nahe.

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Abb. 5 „Auf die Badekarren, fertig, los!“ Wangerooger Badestrandanblick um 1900:
Das „Familienbad“. (Postkarte: Heimatmuseum Wangerooge)

Die Insel als Standort hatte gegenüber dem Festland auch den Vorteil des natürlichen Sandstrandes und damit die leichtere „Erreichbarkeit“ des Meeres für die Badenden. Ausnahmen bilden hier die Festlandsorte Dangast und Cuxhaven, wo jeweils in die Nordsee ragende Geestsporne für einen natürlichen Sandstrand sorgten. Entsprechend wurden beide schon sehr früh zu Seebädern: Dangast 1804, und Cuxhaven 1816. Aber auch aus medizinischen Gründen waren die Inseln dem Festland vorzuziehen:

Was bisher von dem Unterschiede der Bäder auf den Inseln der Nordsee, und dem an der Ostsee gesagt ist, gilt fast noch mehr von denen an der Küste der Nordsee, indem hier der Fluth die innere Kraft mangelt, die Seeluft mit der Landluft, und das Meerwasser mit dem des festen Landes vermischt, und wegen der damit vermengten erdigten Theile (Schlick) unreiner ist.“ (Chemnitz, 1833)

Die Entwicklung der Seebäder veränderte die soziokulturellen Strukturen der Inseln grundlegend. Wirtschaftlich löste die Dienstleistung die Landwirtschaft ab, und mit Insulaner und Gästen standen sich zwei zunächst recht fremde Welten gegenüber. Auf der einen Seite der Insulaner, der bis dahin seine Insel v.a. als kargen und bedrohten Lebensraum, als seine alltägliche Welt wahrgenommen hatte, auf der anderen Seite der Gast, der die Inselnatur fernab von Arbeit und Alltag als schön und heilsam erlebte.

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Abb. 6: Werbeanzeige für eine Tagesfahrt zur Treibjagd nach Langeoog (Tongers, H., 1995, S. 96).
Kaum waren die wirtschaftlich wichtigen Kaninchen aus Gründen des Dünenschutzes ausgerottet,
da ging es den Ersatz-Hasen nur zum Spaß und zur Erholung an den Kragen.

Rudolf Eucken (1926), Philosoph und gebürtiger Ostfriese schreibt, die Insulaner seien „stets überzeugt von dem Walten eines Schicksals“ gewesen, „dem sich niemand entziehen“ konnte. Es galt als feige, „sich gegen dieses Schicksal zu sträuben.“ Fernab von Festland und ärztlicher Hilfe mussten die Insulaner im Krankheitsfalle „ihren eigenen Tod“ sterben. Mit der Etablierung des Kurbetriebes konnte von Ärztemangel auf den Inseln keine Rede mehr sein.

Einem Insulaner wäre vor über 200 Jahren wohl nicht eingefallen, sich Heilung versprechend, oder gar nur so zum Spaß im Sommer in die Wellen zu stürzen. Doch auch in den Anfangsjahren des Seebadebetriebes rieten die Mediziner den Gästen von solch unbefangenem und unvernünftigem Umgang mit der See ohne strenge medizinische Begleitung ab:

Voll Muth und Vertrauen eilen sie bald nach ihrer Ankunft mit anderen, schon länger anwesenden Freunden
oder Freundinnen in die See, aber Furcht und Entsetzen ergreift sie, wenn ihnen am Badeplatze das Meer tobender,
als das Wasser, worüber sie gekommen sind, und die Badeweise mit ihrer Vorstellung nicht übereinstimmend erscheint.
Um die Zaghaftigkeit nicht sehen zu lassen, oder um vor der Umgebung keine Blöße zu zeigen,
enthalten sie sich aller Aeußerung, und steigen mit der größten Besorgniß und voller Unruhe in das Bad.
Schnell müssen sie halb ohnmächtig zurückkehren, und mit den heftigsten Kopfschmerzen zu Hause gehen.
Nach einiger Ruhe verliert sich das Ungemach, und hätte weiter nichts zu bedeuten,
woferne das Mißlingen des ersten Bades nicht manchmal großen, nach-theiligen Einfluß auf alle übrige,
und die ganze Cur äußerte. Immer kehren jene Gemüthsbewegungen bey den nächstfolgenden Bädern zurück,
und wenn sie sich auch bey den meisten bald verlieren, und dann erst einen guten Erfolg bewirken,
so giebt es doch einige, die sie nie überwinden können, und es daher ganz aufgeben müssen,
in dieser Saison die kalten Bäder fortzusetzen.“ (Chemnitz, 1833)

Die Nordsee war v.a. eine Arznei, deren Dosierung und Anwendung vom Kurarzt bestimmt zu werden hatte: Anzahl, Abstand und Dauer der Bäder wurden genau auf den jeweiligen Patienten und seine Kranken-geschichte abgestimmt und festgesetzt. Eine falsche Anwendung konnte unerwünschte Nebenwirkungen zeitigen:

Wenn nur der besondere Zustand des Individuums und folglich das Urtheil des Arztes in aller jener Hinsicht das Mehr oder Weniger immer zu entscheiden vermag, so läßt sich leicht einsehen, daß die widersinnige Anwendung eines so wichtigen Mittels nicht allein keinen Nutzen schaffen, sondern seinen Zweck verfehlen muß, und öfters (was bey Nervenschwachen und denen bemerkt ist, die zu Erkältungen sehr geneigt sind) das nehmliche Uebel stärker hervorbringen muß, was man eben dadurch bekämpfen wollte.“ (Chemnitz, 1833)

Wirtschaftliche Wendezeiten: der Kurbetrieb
Der wirtschaftliche Aufschwung durch den Badeverkehr stand auf den einzelnen Inseln in Abhängigkeit z.B. von Erreichbarkeit der Insel, Ausgangsgröße des Dorfes, vorhandener Infrastruktur, nicht zuletzt von der politischen Lage im Land. So versickerten die anfänglich vielversprechenden Entwicklungen auf Norderney, Wangerooge und in Dangast zunächst in den Wirren der napoleonischen Kriege. Norderney musste den Badebetrieb 1806 nach dem Zusammenbruch Preußens vorübergehend einstellen. Das Konversationshaus diente der französischen Besatzungsmacht als Kaserne. Nach dem Wiener Kongress (1814/15), der die europäische Landkarte neu ordnete, setzte sich die Entwicklung zügig fort. Schon 1814, im Jahr der Wiedereröffnung, kamen 816 Gäste nach Norderney. Trotz einiger Einbrüche durch die langsam zunehmende Konkurrenz an Nord- und Ostsee entwickelte sich der Fremdenverkehr auf Norderney danach sehr schnell. 1850 wurden bereits 2077 Gäste gezählt.

Borkum empfing erst ab 1830 erste Gäste, entwickelte sich dann aber schnell zum zweitgrößten Bad an der Nordsee. Günstig war, dass der Emder Seehafen bereits 1856 einen Eisenbahnanschluss erhielt. Um 1860 kamen bereits bis zu 600 Gäste nach Borkum.

Auch Wangerooge wurde durch die napoleonischen Kriege kurzzeitig ausgebremst. Als die Insel dann 1818 an das Herzogtum Oldenburg gefallen war, wurde es durch Großherzog Peter Friedrich Ludwig finanziell unterstützt. 1854 kamen immerhin schon 820 Gäste auf die Insel. Einen schweren Rückschlag bedeutete indes die Sturmflut 1855, die große Teile der Badeeinrichtung zerstörte. Danach kam die dann auf privater Initiative beruhende Entwicklung nur langsam wieder in Gang.

Juist, Baltrum, Langeoog und Spiekeroog folgten, nicht zuletzt wegen der kleineren Inseldörfer und der schlechteren Verkehrsanbindung erst später und entwickelten sich zögerlicher. Juist war seit 1840 Seebad, aber noch 1854 wurden nur zwischen 5 und 40 Gäste gezählt. Von 1858 bis 1866 wurde der Kurbetrieb wegen mangelnder Rentabilität sogar eingestellt. Nach Baltrum und Langeoog kamen ab 1830 die ersten Gäste, nach Spiekeroog ab ca. 1840. Die Inseln waren schlechter erreichbar und die wenigen Häuser boten nur wenig komfortablen Platz. Die Gästezahlen blieben in den Anfangsjahren gering. Baltrum wurde erst 1876 offiziell zum Seebad, einen deutlichen Aufschwung gab es aber erst im 20. Jh. Noch heute bewirbt sich Baltrum bei den Gästen als „Dornröschen“ der südlichen Nordsee. Auf Langeoog trat eine spürbare Verbesserung ein, als das Hospiz des Klosters Loccum 1885 den Kurbetrieb aus den bescheidenen privaten Initiativen übernommen hatte. In einem Gutachten von 1880 über die Gründe für die zögerliche Entwicklung heißt es:

Das Zurückbleiben der Insel Langeoog liegt an der Indolenz [Trägheit; Gleichgültigkeit] der Bevölkerung. Diese Indolenz führt zu Armut und Unreinlichkeit und verhindert, daß Insulaner den Badegästen nicht den geringsten Komfort bieten können. Die Unreinlichkeit ist ferner so groß, daß nur die Hälfte der Häuser bewohnbar ist. Trifft eben ein Badegast noch ein unreines Haus, so ist es mit dem Vergnügen vorbei und er kommt nicht wieder.“ (zit. nach de Wall, 1991)

Ende des 19., Anfang des 20. Jhs. gab es einen allgemeinen Aufschwung des Bäderverkehrs nicht nur auf den Inseln zu verzeichnen. Die Industrialisierung führte zum Ausbau von Straßen und der Anlage neuer Bahnstrecken, die die Erreichbarkeit der Inseln deutlich verbesserten. Die zunehmende Verstädterung steigerte zudem das Bedürfnis nach Erholung und Entspannung. Auch die sich ändernden wirtschaftlichen und sozialen Strukturen in Deutschland trugen zum Aufschwung bei.

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Abb. 7: Ein Badekarren auf Langeoog posiert vor seinem Element (li., Tongers, H., 1995, S. 85).
Der Wangerooger „Strand-Service“ residiert heute in Erinnerung an diesen frühen „Bade-Ritus“
in diesem Nachbau (re., Foto: P. Kremer, 2005).

Kurz vor dem 1. Weltkrieg waren die Gästezahlen auf den Inseln in ungekannte Höhen gestiegen. Spitzenreiter blieb Norderney mit fast 50 000 Gästen im Jahre 1911. Auf Borkum waren es 30 000, auf Wangerooge 17 000. Auch auf Juist (8 000) und Langeoog (5 000) kam der Fremdenverkehr langsam in Schwung. Baltrum und Spiekeroog profitierten noch nicht so sehr von diesem Aufschwung, weil sie noch ohne Eisenbahnanbindung blieben. Spiekeroog empfing kurz vor dem 1. Weltkrieg rund 2 000, Baltrum gerade mal 540 Gäste. (Kulinat, 1969)

Während des 1. Weltkrieges kam der Badebetrieb auf allen Inseln zum Erliegen. Auch nach dem Krieg dauerte es noch eine Weile, ehe die hohen Gästezahlen aus den Vorkriegsjahren erreicht werden konnten. Hinzu kam eine größer werdende Konkurrenz. Neue Seebäder an der Ostsee und an der ostfriesischen Festlandsküste buhlten um Gäste. In der Fremdenverkehrsindustrie entwickelten sich verschiedene Trends. Hatten die größeren und herrschaftlich geförderten Bäder wie Norderney oder Wangerooge in ihren Anfangsjahren mit Eleganz, Feuerwerk und Tanz um Gäste geworben, so boten die kleineren Bäder ihre Ruhe an, die Abwesenheit von allem Prunk und Lärm. Die relativ preisgünstigen Angebote und die persönlichen Erfahrungen vieler aus den Kriegsjahren waren diesem Trend förderlich.

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Abb. 8: Langeoog, 2005 und Wangerooge nach 1900: Vieles hat sich gar nicht so sehr verändert.
(Foto oben: www.langeoognews.de; Postkarte unten: Heimatmuseum Wangerooge)

Nach dem Einschnitt durch den 2. Weltkrieg erholten sich die Seebäder relativ schnell. Obwohl Teile der Badeeinrichtungen verloren gegangen und viele Gästeunterkünfte zunächst durch Flüchtlinge belegt waren, wurden schon Anfang der 50er Jahre mehr Gäste auf den Inseln gezählt als je zuvor. Das Wirtschaftswunder hatte auch die Inseln erfasst. Soziokulturelle Veränderungen wie allgemeine Arbeitszeitverkürzungen, der Anspruch auf bezahlten Urlaub, die Finanzierung von Kuren durch Krankenkassen, nicht zuletzt die zunehmende gesellschaftliche und individuelle Mobilität durch die Entwicklung bezahlbarer PKW („Volkswagen“!) und der Förderung des Straßenbaus erwiesen sich als starke Motoren für die moderne Entwicklung der Kurbetriebe bis zum gegenwärtigen Bild, das sich heute den Gästen auf den Inseln bietet. 2003 brachten es insgesamt 990 129 Gäste auf allen Inseln auf über 9,3 Mio. Übernachtungen.

Die stetig steigende Gästeflut deutet jedoch nicht nur auf eine stetige Vermehrung von Gästebetten hin. Der Bauboom nach dem 2. Weltkrieg hatte zwar die Inseldörfer vergrößert und die Betten-Kapazitäten erhöht, aber im Laufe der Jahrzehnte stieß das wirtschaftliche Wachstum auf den Inseln zunehmend an die Grenzen der Zimmer- und Bettenvermehrung. Dazu trägt auch das niedersächsische National-Park-Gesetz bei. Der Gästezuwachs ist vielmehr ein Hinweis auf veränderte Strategien und Trends im Fremdenverkehr und auf sich ändernde Urlaubsgewohnheiten der Gäste. Die Schönheit der Insel außerhalb der Saison wird angepriesen und angenommen, dafür hat sich die durchschnittliche Aufenthaltsdauer der Gäste auf den Inseln erheblich verkürzt. Dadurch hat sich der Zeitraum, den ein Bett pro Jahr belegt ist, insgesamt erhöht. Nach Norderney kamen 1960 über 100 000 Gäste auf fast 1,9 Mio. Übernachtungen. Die durchschnittliche Urlaubsdauer betrug 18,7 Nächte pro Gast. 2003 hatten drei mal soviel Gäste bei nicht mal doppelten Übernachtungszahlen (ca. 3,2 Mio.) die durchschnittliche Urlaubslänge auf 10,5 Nächte reduziert.

Die Eigenart des ostfriesischen Insel-Massentourismus
Der Fremdenverkehr gehört heute immer noch zu denjenigen Wirtschaftszweigen, die - bei allen regionalen Schwierigkeiten - global gesehen wachsen. Der Reiseboom nach dem 2. Weltkrieg und die damit verbundene massenhafte Bebauung vieler Mittelmeer-Küsten, die vielerorts völlige Änderung aller sozio-kulturellen Muster in den Zentren des „Massen-Tourismus“, und das zunehmende Bewusstsein für eine bedrohte Umwelt, haben gezeigt, dass der Fremdenverkehr neben Chancen auch Risiken birgt. Die Entwicklung „sanfter“ oder „sozial-“ und „umweltverträglicher“ Tourismus-Konzepte repräsentieren diesen Wertewandel. Gerade in strukturschwachen Peripherregionen gilt die Etablierung des Fremdenverkehrs nach wie vor als Hoffnungsträger. Das galt vor 200 Jahren in hohem Maße auch für die ostfriesischen Inseln, wo der Seebadeverkehr einen enormen Impuls für die dortige wirtschaftliche Entwicklung bedeutete. Die Etablierung des Fremdenverkehrs kann auch zur Auflösung traditionell gewachsener eigenständiger Lebens-weisen führen, zum Bedeutungsverlust für die Landwirtschaft, und zur vollständigen „Touristifizierung“, d.h. die Unterwerfung aller eigener Interessen unter das Diktat des Fremdenverkehrs. Das entsprechende Risiko psychischer Folgen für Gemeinschaft und Einzelne nennt Mose (1996) zusammenfassend die „Entfremdung der Bereisten“.

In den Katalogen zeigen sich die Inseln als „Paradiese“. Die ganze Natur, alle Dienstleistung und Infrastruktur, alles scheint auf den Gast ausgerichtet und für ihn angerichtet zu sein. So verschieden, wie sich die Inseln als Seebäder entwickeln haben, so individuell ist das Image, das in den Katalogen angeboten wird (Familien-Paradies, Sport-Paradies, Natur-Paradies, das „Dornröschen“ usw.)

Einheimische werden von den Gästen oft um ihr Inselleben beneidet. Die alltägliche Nähe zum Meer, die gesunde Luft, das Leben jenseits der Großstadthektik, gerade so, als wären Insulaner das ganze Jahr auf Heimat-Urlaub. Dabei vergessen sie, dass die Insulaner zwar einen großen Teil ihres Broterwerbs auf den Urlaub der Gäste ausrichten, ihre eigene Insel-Umwelt jedoch erleben sie als Alltagswelt.

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Abb. 9: Frühmorgendlicher Strandkorb-Appell auf Wangerooge:
„Alles ausgerichtet auf die Gäste?“„Ja!“, ruft sogar der Wetterstatistiker.
(Foto: P. Kremer, 2005)

Bedenkt man allein die enorm hohen Gäste- und Übernachtungszahlen ist man geneigt, den modernen Fremdenverkehr auf den Inseln als „Massentourismus“ zu betrachten. In der Sommersaison schwellen die größeren Insel-Badeorte fast zu Mittelstädten an, dass die Infrastruktur (Geschäfte, Bäder) aus allen Nähten platzt. Dennoch unterscheidet er sich grundlegend von dem, was wir vor Augen haben, wenn wir z.B. an den mediterranen Massentourismus denken.

Kurgäste auf den ostfriesischen Inseln sind sehr oft Stammgäste, die jedes Jahr auf die gleiche Insel zu den gleichen Gastgebern reisen. Viele persönliche Bindungen und Familienbanden sind daraus entstanden. Auf diese Weise gehört(e) es für viele Gäste dazu, für die Dauer ihres Aufenthaltes nicht nur zu kuren, sondern auch an der Insel-Gesellschaft und der ostfriesischen Lebensart teilzuhaben.

Doch unter den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Fremdenverkehrsindustrie haben sich die soziokulturellen Strukturen, die die Gäste auf den Inseln zu hoffen finden, verändert. Junge Insulaner haben die Inseln auf der Suche nach anderen beruflichen Perspektiven verlassen, Ferienwohnungen werden vielfach von Nicht-Insulanern vermietet, die selbst nicht auf der Insel wohnen und nur die Verwaltung Einheimischen übergeben. Immer mehr Saisonkräfte aus allen Teilen Deutschlands bedienen in Restau­rants, Cafés, Läden, Kureinrichtungen usw.. Das direkte Erleben der spezifischen Inselart ist v.a. für Nicht-Stammgäste dadurch schwieriger geworden. Hier vollzieht sich nicht die „Entfremdung der Bereisten“ von ihren traditionellen Strukturen (s.o.), sondern die „Entfremdung der Reisenden“ von ihren Urlaubszielen und -träumen.

Doch nicht nur Menschen nehmen traditionell am Inselleben teil, auch die Inselnatur ist Teil dieses Lebens. In Wattenmeer, Salzwiesen und Dünenlandschaften wimmelt es von Leben; Einheimische, ganzjährig hier lebende Arten und saisonal bedingte Gäste, wie die Zugvögel. In den Sommermonaten überschneiden sich die Interessen von Mensch und Natur an den Landschaften der Inseln. Seit 1986 hat der Nationalpark mit seinem Zonierungs- und Wege-Konzept dieses Konfliktpotential im Blick (vgl. Mayer in diesem Band). Da die Gäste aber v.a. am Badestrand, in den Kureinrichtungen und im Insel-Dorf zu finden sind, und da sich die Natur als zu schützender Wert in den Köpfen der meisten Gäste längst etabliert hat, halten sich die Konflikte zwischen Mensch und Natur mittlerweile auch in den Sommermonaten weitestgehend in Grenzen.

Deutlichere Reibungspunkte gibt es dagegen zwischen den Fremdenverkehrs-Anbietern und der Nationalpark-Verwaltung. Die Nationalpark-Gesetze werden gerade in wirtschaftlich schwierigeren Zeiten vor Ort vielfach als Wachstumsbremse verstanden. Um so mehr, da der Insel-Badeverkehr mit seiner über 200jährigen Geschichte längst ein traditionelles Insel-Gewerbe ist, kein neuer Wirtschaftszweig, der in einem Naturschutzgebiet entstehen soll. Solange Gäste nicht trotz der gesperrten Landschaftsteile, sondern wegen der Schönheit der Natur kommen, und wenn die Fremdenverkehrsanbieter die geschützte Natur nicht als Behinderung, sondern als anzubietendes Produkt verstehen, weichen die Konflikt-Grenzen zwischen Fremdenverkehr und Naturschutz auf.

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Abb. 10: Cakile maritima (Meersenf): Strandgut im Nationalpark und Pionier im Dünenbau.
(Foto: P. Kremer, 2005)

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www.langeoognews.de