Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Verweht in Wind und Zeit
Es gibt nur wenige Spuren alter Dorfstandorte

Heute, wenn man sich das blühende Nordseeheilbad Langeoog ansieht, ist kaum noch vorstellbar, wie schlecht die Lebensbedingungen für die Insulaner vor den Zeiten des Fremdenverkehrs gewesen sind. Und wenn man sich Dorf und Infrastruktur heute ansieht, ist noch viel weniger vorstellbar, dass die wenigen Familien, die hier früher lebten, für dieselbe Insel Überbevölkerung bedeuteten. Von Flugsand und Sturmfluten getrieben, mussten die Insulaner immer wieder ihre Dörfer verlegen.Spuren dieser frühen Siedlungen sind kaum erhalten.

Beginn der Besiedlung
Die ostfriesischen Inseln wurden erst ab dem 13./14. Jh. besiedelt, für Langeoog weist eine Urkunde von 1289 darauf hin, dass es einen kleinen Hafen gab. Die Siedlungsgeschichte der Inseln ist also vergleichsweise jung, und begann, anders z.B. als an der Marschenküste oder auf der Geest, zu einer Zeit, da es bereits schriftliche Dokumente gab.

Dennoch ist die Geschichte Langeoogs aus verschiedenen Gründen nicht so leicht zu rekonstruieren. Zum einen ist die Akten- und Urkundenlage erst ab Ende des 16. Jh. einigermaßen ertragreich, zum anderen sind von der Besiedlung dieser frühen Jahrhunderte aus nachvollziehbaren Gründen keine Reste und Siedlungsspuren mehr vorhanden. Die Insulaner hatten damals nicht viel Baumaterial. Ihre Häuser waren aus Strandgut und Soden zusammengebaut, Steine gab es in der Insellandschaft nicht, und waren zum Ankauf zu teuer. Wenn sie ihre Häuser versetzten, dann nahmen sie natürlich alles restlos mit, und die wenigen Spuren ihrer Siedlungen waren bald vom Winde verweht. Die Standorte lassen sich nur unter Vorbehalt aus der Interpretation schriftlicher Überlieferungen ableiten, oder aus der Rekonstruktion der damaligen Lage der Dünenzüge.

Getrieben von Flugsand und Dünenverlust
Pastor Balthasar Arend aus Berdum (heute Ortsteil von Wittmund) schreibt 1684 in einem Bericht über das Harlingerland samt Spiekeroog und Langeoog, dass die Langeooger damals rund alle 30 Jahre ihre Häuser wegen des extremen Flugsandes versetzen mussten. Mal wohnten sie im Bereich der Heerenhusdünen, mal in der Gegend um das Melkhörn herum, mal eher im Südwesten der Insel, im Schutze der Kaap- oder Süderdünen. Die genauen Dorf- und Kirchstandorte liegen im Dunkeln.

So gibt es zum Beispiel ausgerechnet in der spannenden Frage, wo auf Langeoog in der fürchterlichen Weihnachtsflut von 1717 das Dorf gewesen ist, keine einheitlichen Angaben. Manche Autoren wähnen es im Westen der Insel, andere Autoren in der Mitte, in der Gegend am Melkhörn. Es gibt jedoch Indizien, die es wahrscheinlich machen, dass die Häuser wieder im Westen standen, die Kirche aber noch am Melkhörn.

Die Siedlungsstandorte aus dem 17. und Beginn des 18. Jh. liegen dagegen in Dünenbereichen, die es auch heute noch gibt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein paar Hinweise, und sei es auch nur Hausmüll, unter der einen oder anderen Düne verborgen liegt, Gebäudereste aber sind ganz sicher nicht zu erwarten.

Der vermutlich älteste Siedlungsstandort
Ausgerechnet einer der ältesten Siedlungsstandorte ist einigermaßen sicher lokalisiert. Ab 1854, und zuletzt 1921 tauchten am Nordstrand immer wieder mal Spuren von Brunnen und Wallanlagen auf, die vorsichtig auf das 13. bis 15. Jh. datiert wurden. Der Fundort wurde 1921 mit 400 m nordwestlich vom Hospiz angegeben, also in einem Bereich, der heute von Strandsanden bedeckt ist. Diese Spuren hatten sich deswegen solange halten können, weil sie im Laufe der Jahrhunderte von Dünen überwandert und auf diese Weise konserviert wurden.

Pastor Otto Harms und Dr. Willrath Dreesen hatten die Fundstücke damals geborgen und kartiert. Prof. Peter Zylmann, Fachmann für ostfriesische Vorgeschichte, hatte 1929 die Funde und Befunde vorsichtig ins 13. bis 15. Jahrhundert datiert, wobei er selbst nicht vor Ort gewesen zu sein scheint, sondern sich auf Bericht und Skizzen des Pastors stützt, und auf die ihm vorliegenden geborgenen Funde.

Die Funde wurden 1921 dem Germanischen Institut in Jena zur Altersbestimmung geschickt, die unter anderem ein Geweihstück einer Hirschart ausmachten, die seit dem 11. Jahrhundert ausgestorben ist. Ein merkwürdiger Fund, weiß man doch heute ziemlich sicher, dass die Ostfriesischen Inseln im 11. Jahrhundert noch gar nicht bewohnt waren. Eine von Prof. Zylmann in Auftrag gegebene neuerliche Untersuchung deckte den Irrtum auf. Das Geweih entpuppte sich als Beckenknochen eines ganz normalen Hausrindes.

Harms und Dreesen haben insgesamt eine ganze Reihe interessanter Funde gesichtet (siehe ein paar Absätze später). Es gab viele unbestimmbare Holz- und Metallteile, Stücke von Fassdauben, Bretter, Hufeisen, sowie viele Keramikscherben, teils einheimische Ware, teils aus dem Rheinland.

Gut erhaltene Fundstücke
Sehr gut erhalten war „ein braun glasierter Krug mit engem Hals, schöne, regelmäßige Form, mit Fabrikmarke, Bodenrand leicht beschädigt, sonst tadellos erhalten, 17 Zentimeter hoch, obere Weite zwischen den Außenkanten 6 Zentimeter, größter Bauchdurchmesser 12 Zentimeter, Bodendurchmesser 8,5 Zentimeter; keine einheimische Ware.“ Auf der sehr einfachen Skizze von Prof. Zylmann ist der Krug als Objekt Nr. 7 angedeutet. Das Objekt darüber, die Nr. 4, ist die Hälfte eines sogenannten „Netzsenkers“, ein ursprünglich faustgroßer Stein mit Durchlochung, mit dem die Fischer ihre Stellnetze beschwerten. Das auf Langeoog gefundene Bruchstück des Netzsenkers war aus hellem Kalkstein. Zudem war eine „Hausmarke“ eingraviert, von der aber nur die obere Hälfte erhalten ist. Hausmarken benutzten die Insulaner, die meistens nicht schreiben und nicht lesen können, als Familiensymbol, mit dem sie auch Dokumente unterschrieben. Noch mindestens bis ins 18. Jahrhundert hinein war der Gebrauch von Hausmarken noch üblich.

Ein englischer Penny
Der aufregendste Fund aber war eine Münze, ein Penny, der unter König Eduard I. von England (von 1307 bis 1327) geprägt worden war. Zylmann hält es für denkbar, dass die Ostfriesen damals im Auftrage der Hanse Handelsfahrten nach England unternahmen, und ein Langeooger Seemann die Münze von dort heimgebracht haben könnte. Genauso gut aber ist denkbar, dass die Münze aus einem gestrandeten Schiff stammt. Zur Datierung der Siedlungsreste eignet sie sich nur bedingt, weil die Prägezeit kein Hinweis darauf ist, in welchem Jahrhundert die Münze Langeoog erreicht hat.

Wo sind die Fundstücke geblieben?
Der Bericht Zylmanns, der 1929 in den „Blätter des Vereins für Heimatschutz und Heimatgeschichte“ erschienen war, wurde am 25. Oktober 1985 auch in dem Mitteilungsblatt „Van dit und dat“ des Langeooger Heimatvereins wiedergegeben. Leider findet sich hier kein Hinweis darauf, was aus den Fundstücken geworden ist, oder ob man sie gar irgendwo noch sehen kann.

Aber es gibt einen kleinen Bericht von Sibo Lüken, damals im Vorstand des Heimatvereins, der aus der Erinnerung heraus über eine offenbar andere Fundstelle am Strand erzählt, 300 m jenseits der Randdünen vor der damaligen Strandhalle, die im Winter 1917/18 aufgetaucht war. Die Frage, ob es sich hier um einen anderen Bereich der gleichen Siedlung handelt, die 1921 nördlich des Hospiz frei gelegt wurde, wird seltsamerweise nicht einmal angeschnitten. Der Frage nach dem Verbleib dieser Fundstücke dagegen wird etwas genauer beleuchtet. Möglicherweise ein Hinweis darauf, dass es den Funden von 1921 genauso ergangen sein könnte, ganz bestimmt aber ein Hinweis darauf, dass diese Frage damals diskutiert wurde.

Der Bericht des Sibo Lüken
(in: „van dit und dat“, rutgäben van’t Heimatverein Langeoog, Blatt Nr. 6, 25. Okt. 1985)

Sibo Lüken schrieb also: „Während des ersten Weltkrieges, etwa 1917/18, wurde Langeoog von einem starken Sturm heimgesucht, durch den ein großer Teil des damaligen Strandes abgetragen wurde. Dabei kam eine beachtliche Fläche einer früheren Siedlung zutage. Diese lag etwa in der Höhe der heutigen Strandhalle, ca. 300 Meter von den jetzigen Dünen seewärts.

Mit Lehrer Körber wurden von uns Schulkindern viele Sachen gesammelt und registriert.

Interessant waren die freigespülten Grundmauern der mittelalterlichen Häuser, die aus Grassoden hergestellt waren. Auch ein Brunnen wurde freigelegt. An Gegenständen sind Silberlöffel, einzelne Münzen, Scheiben von Tontöpfen und Knochen gefunden. Für uns Jungs war dabei sehr interessant das Vorhandensein von Hufeisen, die etwa einen Durchmesser von fünf bis sechs Zentimeter hatten, also wahrscheinlich von Ponys stammten.

Leider ist die Sammlung durch Unverständnis und vielleicht Desinteresse mit der Zeit verschwunden. In den dreißiger Jahren wurden noch einige Teile davon im Wasserturm gezeigt. Ich kann mich noch erinnern, während eines Inselurlaubs einiges davon gesehen zu haben. Damals war der Wasserturm ja noch als Aussichtsturm allen Gästen zugänglich. Ob heute noch Fundstücke davon vorhanden sind, entzieht sich meiner Kenntnis.“ (Lüken, 1985)

In alle Winde zerstreut
So haben sich die Fundstücke im Laufe der Zeit offenbar in alle Winde verstreut, nachdem sie jahrhundertelang unter Sand festgesessen hatten. Aber wer weiß, so wie damals die Gezeiten die mittelalterlichen Siedlungen freigelegt haben, so taucht vielleicht auch das eine oder andere Fundstück aus dem Strom der Zeit wieder auf. Der neue alte Wasserturm, wäre bestimmt, genau wie damals, ein würdiger Rahmen für eine Ausstellung.

 

Abb. 1: Prof. Peter Zylmann gibt als Fundort für die mittelalterlichen Siedlungen von 1921 einen Bereich rund 200 Meter nördlich des Hospizes an. (Siehe Skizze von Zylmann, erstellt nach einer Zeichnung von Pastor Harms. Die Nummerierung auf der rechten Seite lautet: „1 Hausanlage; 2 Rundanlagen verschiedener Größen; 3 Holzfässer; 4 Gruben; 5 Wälle; 6 Gräben“ (Zylmann, 1929, Farbe: P. Kremer)

 

 

 

 

Abb. 2: Skizze einiger Fundstücke, angefertigt Prof. Peter Zylmann. Bemerkenswert einfache und deshalb nur eingeschränkt aussagekräftige Darstellung. (Zylmann, 1929, Farbe: P. Kremer)