Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Die ältesten Siedlungsspuren
Zylmanns Bericht über Funde und Befunde zu den ältesten Siedlungsspuren
(in: Blätter des Vereins für Heimatschutz und Heimatgeschichte 12, 1929, S. 233-238 )


„Schon in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts, dann wieder im Herbst 1908 wurden am Nordweststrand der Insel unweit des Dorfes Darglager von geringerem Umfang beobachtet, die vereinzelte Spuren früherer Besiedlung aufwiesen. Diese wurden nach den schweren, anhaltenden Sturmfluten um die Weihnachtszeit 1921 und durch weitere Strandverschiebungen in den beiden nachfolgenden Jahren in erheblich größerer Ausdehnung wiederum an derselben Stelle freigelegt. Auf ihnen traten nach und nach immer deutlichere Anzeichen dafür auf, daß sie einst zahlreichere Wohnstätten getragen haben müssen. Auf der Oberfläche des von Gräsern stark durchwachsenen Bodens zeichneten sich klar erkennbar ab: Im Südwesten, etwas auf der Strandmitte ein kleines, ungefähr 4 mal 3 m großes, aus grauen Lehmsoden errichtetes Haus, daneben auf der Südostseite eine aus dargigen Soden bestehende Rundanlage, von etwa 75 cm Durchmesser. Näher den Dünen zu in gleicher Höhe etwa mit dem Hause: drei parallel, in einem Abstande von etwa 5 m, in südöstlicher-nordwestlicher Richtung verlaufende Wälle, von denen der mittlere etwa 2,5 m, die beiden äußeren halb so breit waren, aus größeren Darg- und Lehmsoden; zwischen den äußeren südwestlichen und den mittleren zwei sich unmittelbar sich berührende Rundanlagen von der vorhin erwähnten Art; die eine von ihnen erhob sich mit zwei Lagen über den Boden; nach Nordosten befanden sich in geringerer Entfernung voneinander drei weitere gleichartige Anlagen. Weiterhin, nach Südosten: Ein größeres Stück einer aus geformten, schmalen, grauen, weichen Lehmsteinen bestehende Rundanlage von vermutlich 3 m Durchmesser, an deren inneren Peripherie in regelmäßigen Abständen viereckige kleinere Einschnitte von geringerer Tiefe sich fanden (etwa für Ständer?) letztere wurden auch sonst vielfach festgestellt. Ferner aus auffallend großen, rötlichen Lehmsoden errichtete Wälle, die in etwa 1 – 2 m Höhe sich unter den Dünen fortsetzen; von ihnen ausgehend, seewärts gerichtet zwei gradlinige, etwa 1 m tiefe und ebenso breite Gräben, die an einzelnen Stellen mit Lehmsteinen eingesetzt waren. Endlich eine größere Anzahl von wirtschaftlichen Anlagen: Brunnen, mindestens 4, aus Lehm- und Blautonsoden, Abfallgruben und senkrecht eingegrabene Fässer in größerer Zahl. Sämtliche Anlagen wurden genau durchforscht; die oben bezeichneten Rundanlagen enthielten in mäßiger Tiefe zum Teil noch erhaltene Holzbottiche verschiedener Größe, deren obere Ränder angebrannt waren; einer von ihnen einen angefaulten Röhrenknochen. In einem Brunnen befand sich ein Kinderholzschuh. In den Abfallgruben: Viehdung und dünne Gräten. In den Fässern: Einzelne Flintensteine. Durch die täglichen Fluten, die die ganze aufgedeckte Fläche allmählich zerbröckelten und mit Sand überdeckten, wurden aus dem Boden ausgewühlt: Gefäß- und Ziegelbrocken, Eisenteile, ein Vorsatzspaten, 2 Kalkringe, ein ring aus roter Ziegelerde, 1 durchlochter Kalkstein, 1 durchlochter flacher Mahlstein. Hörner von Rindvieh – die auch in letzter Zeit angespült wurden, - ein Rindviehschädel, Pferdezähne, der versteinerte Kern eines Augensprosses eines Hirschgeweihs und Tierknochen unbestimmter Art. Bei zufälligen Grabungen wurden nahe an den Dünen, an einer Stelle in größerer Menge Knochen und Gerippeteile und ein außerordentlich stark entwickeltes Ziegengehörn gefunden. Ein Teil der vorstehend bezeichneten Funde wurde dem Germanischen Institute in Jena zur Begutachtung eingesandt. Letztere erklärte, daß die Reste der Gebrauchsgegenstände etwa 3 – 400 Jahre alt seien; die stärkeren Beinknochen rührten ebenso wie der Rindviehschädel von einer kleineren Rindviehart her, wie sie im 11. Jahrhundert vorgekommen sei; die übrigen Knochen und Gerippeteile seien vom Hirsch, Reh, Hund und Schwein.“

 

Auflistung der Funde

1. Eine durchlochte Sandsteinscheibe von unregelmäßiger Form, offenbar nicht vollständig, von 15 – 20 cm Durchmesser; Bedeutung zweifelhaft, vielleicht ein Mahlstein

2. zahlreiche Stücke, meist Stielteile, von glasierten Stielpfannen, aus rotem einheimischen Ziegelton, wie sie noch bis in die Gegenwart hinein gebraucht werden (Abb. Nr. 5);

3. ein gelbgebrannter Backstein, kleines Format, wahrscheinlich nicht einheimisch;

4. mehrere Henkel- und Bodenstücke von Gefäßen mit randgewelltem Fuß, aus feinem, geschlemmten Ton [sic], glasiert, hellgrau, hellbraun, dunkelgrau, aus nicht einheimischem Material.

5. Ein Gefäßfuß, Bruchstück, aus rotem Ziegelton, nicht glasiert, randgewellt, wahrscheinlich einheimischer Herkunft (Abb. 3);

6. Mehrere Randstücke von Töpfen (Abb. 8 und 9), wovon letzteres wahrscheinlich zu einem kugelförmigen Gefäß mit sehr scharf geknicktem Rande gehört;

7. ein braun glasierter Krug mit engem Hals, schöne, regelmäßige Form, mit Fabrikmarke, Bodenrand leicht beschädigt, sonst tadellos erhalten, 17 cm hoch, obere Weite zwischen den Außenkanten 6 cm, größter Bauchdurchmesser 12 cm, Bodendurchmesser 8, 5 cm; keine einheimische Ware (Abb. 7);

8. Ein Netzanker aus hellem Kalkstein, obere Hälfte, mit enger Bohrung, und dem oberen Teil einer Hausmarke (Abb. 4);

9. ein scheibenförmiger Ring aus roten Ziegelton gebrannt, 4 cm Durchmesser, innere Öffnung 1,3 cm, Dicke 1,2 cm; kein Spinnwirtel, vielleicht eine Spielscheibe (Abb. 10);

10. ein eiserner Vorsatz zu einem Holzspaten, sehr breite Form, Schneide 2 cm breit, 5 cm hoch. Vorsatzspaten kommen bereits in späteren Warfenfunden vor, werden in der Marsch bis in die Gegenwart gebraucht, meist aber in schmalerer Ausführung (Abb. 11);

11. ein zierliches Hufeisen, sehr gut erhalten, 13,5 cm lang, größte Breite 11 cm, ohne typische Unterschiede gegen moderne Formen;

12. mehrere Eisenteile, stark gerostet, ungekannten Zwecks;

13. angebrannte Holzteile, darunter Stücke von Faßdauben, mit Falz für die Bodenbretter;

14. Bodenfläche eines Kinderholzschuhs, zerbrochen, 20 cm lang, 8 cm breit;

15. ein Stück Blei, scheibenförmig, von unregelmäßiger Dicke, mit zwei tiefen Kerben; vielleicht als Senker verwandt;

16. zahlreiche Knochen. Sie wurden freundlicherweise von den Herren Regierungs- und Veterinärrat Dr. Peters, Aurich und Prof. Dr. Zietschmann, Direktor des Anatomischen Instituts der Tierärztlichen Hochschule zu Hannover untersucht. Die Hauptmasse rührt von einem zartgebauten Rinde her, daneben ferner von Schaf oder Ziege. Ein rechter Unterkiefer stammt von einem Fleischfresser, aber nicht von einem Hund, läßt sich nicht bestimmen. Ferner ein Oberschenkelbein von einem Menschen. Im Gegensatz zu der Untersuchung in Jena wurden keine Hirschknochen festgestellt; sie gehören sämtlich zum Rinde. Eine rechte Beckenhälfte vom Rinde ist irrtümlich für ein Stück von einem Hirschgeweih gehalten worden. Es musste von vornherein bezweifelt werden, daß auf einer waldlosen Insel Hochwild vorgekommen sein sollte. Irgendwelche Unterschiede an den Knochenfunden gegenüber den heute lebenden Tieren ist nicht festgestellt worden. (ER korrigiert Jena)

17. eine Münze, die von dem Staatlichen Münzkabinett in Berlin als ein wahrscheinlich von Eduard II. von England (1307 – 1327) in Canterburry geprägter Pennie bestimmt worden ist.

 

Zylmanns Anmerkungen zu den Funden

„Die nicht einheimische Keramik stammt wahrscheinlich aus dem Rheinlande; die einheimische mag an sie in der Formgebung angelehnt worden sein. Ohne mich auf einen engen Zeitraum festzulegen, möchte ich sie in das ausgehende Mittelalter weisen.

Von besonderem Interesse ist die Münze. Es ist durchaus denkbar, daß die Hansastädte an der Nordsee für ihre ausgedehnte Schiffahrt sich wie in der Gegenwart in weitem Umfange der seemännischen Bevölkerung der Nordseeinseln und des Küstenlandes bedient hat; die Handelsbeziehungen zu England waren bekanntlich besonders eng. Es ist wahrscheinlich, daß ein Langeooger Seemann in den Diensten der Hanse die Münze mit heimgebracht hat. Selbstverständlich kann sie auch aus einem gestrandeten Schiffe stammen.

Da die Siedlung längere Zeit vor wie nach der Einführung der Münze bestanden haben kann, so darf man sie vorsichtig in das 13. bis 15. Jahrhundert datieren. Genauere Untersuchungen mögen zu einem engeren Zeitraum führen.

In Tafel II gebe ich nach der Zeichnung des Herrn Pastor Harms einen Lageplan der Fundstelle. Die Fässer sind wahrscheinlich als Behälter für Regenwasser anzusprechen, ebenso die Rundanlagen. Doch muß erwähnt werden, daß es heute auf den meisten Inseln gute Grundwasserbrunnen gibt, so daß die Rundanlagen auch schon richtige Brunnen gewesen sein können. Die mit Dung und Abfall angelegt worden sein, die dann, als sie schadhaft wurden und in sich zusammensackten, mit Abfällen zugeworfen wurden. Denn es ist nicht wahrscheinlich, daß man für Abfall und Dung solche mühsam herzurichtende Anlagen verwandte.

Über die kleine Hausanlage läßt sich leider mangels genauerer Einzelangaben nichts Bestimmtes sagen.

Unsicher ist auch die Bedeutung der Wälle. Man muß annehmen, daß die Siedlung ursprünglich an der Wattseite gelegen hat; dann mögen sie Schutzanlagen gegen das vom Watt kommende Hochwasser gewesen sein. Noch heute sind Hof und Garten mancher Siedlung an der Wattseite so geschützt. Doch können es auch Umhegungen von Kleinäckern gewesen sein, wie sie noch heute als Windschutz benutzt werden.

Auch über die Bedeutung der Gräben lassen sich nur Vermutungen aussprechen. Sie deuten ebenfalls auf Wattenlage hin.

Man darf den genannten Gewährsmännern außerordentlich dankbar sein, daß durch ihre Aufmerksamkeit bisher auf den ostfriesischen Inseln nur sehr spärlich bekannte Zeugen einer fernen Zeit erhalten worden sind. Diese zeigen eindrucksvoll, wie unsere Inseln unaufhörlich dem Gesetze ewiger Wandlung unterliegen und mit ihnen das schwache Werk menschlicher Hände.“

 

 
Abb. 1: Prof. Peter Zylmann gibt als Fundort für die mittelalterlichen Siedlungen von 1921 einen Bereich rund 200 Meter nördlich des Hospizes an. (Siehe Skizze von Zylmann, erstellt nach einer Zeichnung von Pastor Harms. Die Nummerierung auf der rechten Seite lautet: „1 Hausanlage; 2 Rundanlagen verschiedener Größen; 3 Holzfässer; 4 Gruben; 5 Wälle; 6 Gräben“ (Zylmann, 1929, Farbe: P. Kremer)

 

 

 


Abb. 2: Skizze einiger Fundstücke, angefertigt Prof. Peter Zylmann. Bemerkenswert einfache und deshalb nur eingeschränkt aussagekräftige Darstellung. (Zylmann, 1929, Farbe: P. Kremer)