Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Einsamkeit und widersinnige Zuhörer
Die Kirche auf Langeoog nach 1666

seit 1666: Lückenlose Predigerliste
Der Langeooger Kirchbau von 1666 ist der älteste ganz sicher nachgewiesene, obwohl alles darauf hindeutet, dass es mindestens einen Vorläufer gegeben hat. Wo die Kirche von 1666 genau gestanden hat, geht aus der Sekundärliteratur nicht eindeutig hervor, aber wahrscheinlich westlich des heutigen großen Sloops. Auch ob es sich um einen Bau aus Stein gehandelt hat, ist ungeklärt.

Dafür aber sind seit 1666 lückenlos die Namen der Prediger bekannt, die seitdem ihren Dienst auf Langeoog versehen haben. Aber was heißt schon "lückenlos", wenn Langeoog später eine 142 Jahre lange Zeit ganz ohne Kirchbau erleben sollte, die erst 1859 endete. Die bis dahin letzte Kirche war in der katastrophalen Weihnachtsflut 1717 untergegangen.

Der Dreißigjährige Krieg
Als Langeoog 1666 Kirchbau und Prediger bekam, da war es gerade mal 18 Jahre her, dass der 30jährige Krieg zu Ende gegangen war. Der 30jährige Krieg war auch ein Religionskrieg, in dem es um die Vorherrschaft von Katholizismus und Protestantismus ging. Im "Westfälischen Frieden" schließlich wurde beiden Konfessionen die gleiche rechtliche Stellung im Heiligen Römischen Reich deutscher Nation zuerteilt.

In Ostfriesland hatte sich aber schon vorher der Protestantismus durchgesetzt, durchaus in verschiedenen Strömungen. Schon durch das "Emder Konkordat" von 1599 wurden die reformierte und die lutherische Kirche in Ostfriesland als gleichberechtigt anerkannt.

Pastor Höcker: Ab 1666 stolze 13 Jahre
1666 trat Pastor Christophorus Höcker aus Wittmund auf Langeoog seinen Dienst an. Von ihm ist (der Sekundärliteratur nach) nicht viel überliefert, obwohl er bis 1679, also stolze 13 Jahre lang im Dienst blieb. Die Predigerstellen auf den Inseln waren meist nicht sehr beliebt. Sie waren schlecht dotiert, die Lebensbedingungen schwierig, und die Kirchbauten nicht annähernd so reich und prächtig wie die des Festlandes. Manchmal waren die "Kirchen" bloß umfunktionierte Insulanerhäuser, oft waren sie nicht mal aus Stein.

Inselpastor: Kein attraktiver Job
Pastor Balthasar Arend aus Berum/Wittmund schreibt 1684 über die Langeooger Pfarrstelle: "453. [...] bis daß Anno 1666 wieder ein gewisses Kirch- und Pfarrhaus aufgeführet und sie mit einem eigenen Prediger sind versehen worden, welcher gleich dem auf Spiekeroog sich jährlich etwas an Getreidig und Torf der Herrschaft wegen zu erfreuen hat. Und weiln die Predigerdienste auf diesen Inseln fast schlecht und gering, so widerfähret diesen Predigern gemeiniglich die Gnade, daß sie von der hohen Herrschaft bald anders wohin zu ihrer Verbesserung gesetzet werden, welche Hoffnung dann solche Prediger in solcher Einsamkeit unter ihren widersinnigen Zuhörern mehrmalen tröstet und aufrichtet."

Widersinnige Zuhörer
Und das kam auch noch zu den ohnehin schon schwierigen Bedingungen für die Pastoren dazu: Die "widersinnige Zuhörer", wie Arend sie nennt. Tatsächlich nahmen die Langeooger der Kirche, oder zumindest den Predigern gegenüber eine eher reservierte Haltung ein. Natürlich waren sie Christen, und gewiss gab es Frömmigkeit in den Familien, auch wenn sie sich nach Meinung der Pastoren viel zu oft unfromm benahmen. Nicht wenige Berichte und Briefe an die Behörden zeugen davon. Doch auch, wenn sie die Kirche gar nicht selten boykottierten, und dem Gottesdienst fernblieben, unchristliche Rohlinge waren die Insulaner gewiss nicht.

Bei näherer Betrachtung wundert die ablehnende Haltung der Insulaner nicht. Zum Einen waren die Prediger selbst oft gelinde gesagt eigenartige Menschen mit seltsamen Anschauungen oder Bibelauslegungen, zum Zweiten war dadurch – neben dem Vogt – eine zweite Macht auf der Insel, die den Insulanern auf die Finger schaute, z.B. wenn es um die wirtschaftlich wichtige, fast lebensnotwendige Bergung und Zuteilung von Strandgut ging.

Die Regierungsmacht auf Langeoog: Der Strandvogt
Die erste Macht vor Ort war der Strandvogt, ein Vertreter der regierenden Ostfriesischen Herrschaft. Dem Ursprung nach war ein Vogt (lat. "advocatus", der "Hinzu-/Herbeigerufene") ein hoch gestellter staatlicher Beamter, der Befugnisse hatte, im Auftrag des Feudalherrschaft in den Vogteien zu regieren und zu richten. Im Laufe der Geschichte des Heiligen Römischen Reiches deutscher Nation, die 1806 endete, verlor das Amt aber zusehends an Bedeutung.

Die Vögte auf den Ostfriesischen Inseln hießen "Strandvögte", weil ihre Aufgabe in der Überwachung und Ausführung des Strandrechts bestand, das vor allem die Bergung von Schiffsgut und dessen vorschriftsmäßige Verteilung regelte. Der Strandvogt war auch zuständig für die Bergung, Identifizierung und Bestattung von Schiffbrüchigen. Zudem hatte er eine Konzession für den Betrieb von Schankwirtschaft und Warenhandlung. Obwohl der Strandvogt als Gesandter der Regierung galt, und deshalb ebenso wie die Prediger, oft als "Fremder" vom Festland auf die Insel kam, waren es sehr oft auch "eingeborene" Insulaner selbst, die das Amt ausfüllten. Wann zum ersten Mal auf Langeoog ein Vogt tätig war, geht aus der Sekundärliteratur nicht hervor, mindestens aber seit 1627. Auf Norderney gab es nachweislich bereits 1607 einen Vogt.

Pastor Höcker und Vogt Hunken
Als 1666 Pastor Christophorus Höcker seinen Dienst antrat, hieß der Langeooger Strandvogt Ubbe Hunken. Er hatte 1659 seinen Vorgänger Edden Garmers abgelöst, der vermutlich über 30 Jahre im Amt gewesen war. Das damals geltende Langeooger Strandrecht, die "Ordinantz" von 1636, ist vollständig überliefert.

Bedenkt man also die schwierigen Rahmenbedingungen, ist es bemerkenswert, das Pastor Christophorus Höcker ganze 13 Jahre lang auf Langeoog seinen Dienst versehen hat. Vielleicht ein Zeichen dafür, dass er mit den Insulanern einigermaßen gut ausgekommen ist. 1679 wurde er schließlich Unterprediger In Reepsholt. Sein Nachfolger im Amt, Pastor Haio Higgen, blieb dagegen nur drei Jahre auf der Insel. Auch über ihn ist wenig bekannt. 1682 wechselte er nach Ochtelbur bei Aurich (heute Gem. Ihlow).

Beliebt unter den Insulanern: Prediger Hillardus Immen
Über Hillardus Immen, den Nachfolger Higgens ist dagegen einiges zu erfahren. Er war gerade mal 23 Jahre jung, als er 1683 seinen Dienst auf Langeoog antrat. Und er blieb 12 Jahre lang auf der Insel. Für sein junges Alter war er offenbar sehr gut ausgebildet. Als er durch den Esenser Pastor Johannes Müller auf seine Amtsfähigkeit geprüft wird, befindet dieser, dass Immen den Langeoogern wohl als Seelenhirte vorgestellt werden kann. Ihm waren die Texte der Bibel nicht nur bekannt, sondern er wusste sie zu interpretieren und zu "verteidigen". Auch verfüge er über Kenntnisse in der griechischen Sprache.
Hillardus Immen stammte aus dem Jeverland, das zu Oldenburg gehört, er war also gewissermaßen Ausländer. Im November 1682 stellte er sich den Langeoogern vor. Die Insulaner waren mit seinem "Singen und Predigen" zufrieden, und so trat er im folgenden Januar seinen Dienst an. Er hatte eine Frau, und beide, als sie 1695 die Insel verließen, fünf Kinder.

Von Tochter Margaretha Maria Immen ist die traurige Geschihte überliefert, dass sie im Juni 1725 Alexander Christian Axen aus Jever heiratete, aber kurz nach der Geburt des Sohnes Johan Josten am 30. Juli - vermutlich im Wochenbett - verstorben war. Nur ein Jahr später starb auch der Sohn, der kleine Enkel von Pastor Hillardus Immen.

Immen hadert mit widrigen Bedingungen
Immen war zu dieser Zeit aber schon längst nicht mehr auf Langeoog. Aber er war immerhin auch zwölf lange Jahre auf Langeoog geblieben, und wie es scheint, verstand er sich mit den Insulanern gut. Als er im Dezember 1694 um seine Versetzung nach Thunum bittet, nennt er als Grund nur die schlechte Bezahlung (30 Reichsthaler Jahresgehalt) und die ungenügenden Möglichkeiten, seinen Kindern die nötige Ausbildung zu gewähren. Seiner Beförderung wurde stattgegeben, und Immen siedelte mit seiner Familie 1695 nach Thunum/Stedesdorf über, rund 3 Kilometer östlich von Esens gelegen. In späteren Jahren half er immer wieder mal auf Langeoog aus, wenn der aktuelle Pastor auf Kollektenreise war.

Strandungen und schlechte Dünen
Vogt war zu Immens Zeiten Peter Ubben, der Sohn seines Vorgängers Ubbe Hunken. 12 Familien lebten damals auf Langeoog. Überliefert ist, dass sie auf dem Westteil der Insel wohnten, der damals aus den Süderdünen, Kaapdünen und Heerenhusdünen bestand.

Aber die Dünen im Westen waren in schlechtem Zustand, zwei schwere Sturmfluten je im November 1685 und 1686 hatten ihnen schwer zugesetzt, und auch ohne Sturmfluten war der Flugsand eine echte Plage. Die Insulaner überlegten, ob sie ihre Häuser wieder in die Melkhörngegend versetzen sollten, wo sie sowieso vor einigen Jahren noch gewohnt hatten. Schließlich blieben sie aber noch bis 1700.

Für die Amtszeit von Pastor Immen und Vogt Ubben sind einige Strandungen überliefert. 1691 gab es rechtlichen Streit, als ein holländisches Schiff erst strandete, dann aber Gott sei Dank wieder freikam. Es heißt, dass der Vogt das Schiff nicht ziehen lassen wollte. Im Sinne des Strandrechts lag vermutlich ein Grenzfall vor. Konnte man von einer Strandung reden, wenn das Schiff nicht Schiffbruch erlitt und wieder freikam? Der Vogt war offenbar der Meinung, dass eine Strandung im Sinne der Strandordnung vorgelegen habe, und dass die Ladung des Schiffes deshalb als Strandgut zu behandeln sei. Wie der Rechtstreit ausgegangen ist, ist nicht bekannt. Ebenso nicht, ob Pastor Immen beteiligt war und welche Meinung er vertreten hat.
Die meisten Strandungen verliefen im Sinne des Strandguts günstiger für die Langeooger. Gott sei Dank, denn in Zeiten der Armut war Strandgut eine wichtige Ergänzung zum kargen Inselleben. Über die Kehrseite dieses Glücks, den Umgang mit den Schiffbrüchigen in der damaligen Zeit, gibt es derzeit einen spannenden Bericht im Langeoognews Jahresmagazin 2012.

Im Januar 1693 strandete vor dem Flinthörn (damals ein dünenloser Fluthaken) ein holländisches Schiff mit Bier, Honig und Pottasche, die vermutlich als Backtreibmittel verwendet wurde. Wieder gab es Auseinandersetzungen, diesmal weil sich Männer aus Westeraccumersiel eingemischt hatten. 1694, ein Jahr bevor Pastor Immen mit seiner Familie die Insel verließ, erlebte er noch eine Strandung, die den Insulanern eine reiche Ladung Bauholz bescherte.

Die Offenbarungen des Pietisten Johann Husius
Mit seinem Nachfolger Johann Husius hielt der Pietismus Einzug auf Langeoog. Der Pietismus war eine unter mehreren Reformbewegungen in Kontinentaleuropa. Möglicherweise durch die Schrecken des 30jährigen Krieges geprägt, wandte er sich gegen die offensichtliche mangelhafte christliche Lebensführung. Betont wurde dagegen die subjektive Seite des christlichen Glaubens, Freiheit des Einzelnen, die Schriften der Bibel selbst zu interpretieren. Andererseits waren Pietisten oft missionarische Eiferer. Der Pietismus verstand sich als Laienbewegung. Typisch waren die Konventikel (Hauskreise), in denen gemeinsam die Bibel gelesen und gebetet wurde. Das Ostfriesische Fürstenhaus war gegen Ende des 17. Jahrhunderts dem Pietismus sehr zugeneigt. Der hier ausgeprägte Pietismus hieß auch "reformierter Pietismus". Er fand wahrscheinlich über die Schüler Theodor Undereycks, der von 1670 bis zu seinem Tode 1693 in St. Martini in Bremen Prediger war, Verbreitung in Ostfriesland, aber auch in Lippe-Detmold.
Johann Husius entstammte einer Pastorenfamilie aus dem Lippe'schen, war aber bevor er nach Langeoog versetzt wurde, erst Winschoten, und ab 1685 in Esens seinen Dienst getan. In seinem Pietismus war er stark beeinflusst von Jakob Böhme, einem bekannten deutschen Mystiker, Philosoph und Theosoph. Das ist ein Hinweis darauf, dass auch Husius einen hohen Bildungsstand vorweisen konnte, der sich nicht allein auf die Kenntnis der Bibelauslegung beschränkte.
Mit seinem missionarischen Eifer aber brachte er erst die Esenser gegen sich auf, und ab 1695 auch die Langeooger. Er drängte auf "Heiligung des Lebens", forderte sofortige "Wiedergeburt" seiner Schäfchen, womit er die Erneuerung des Wesens in christlicher Lebensweise meinte, er rief zum Fasten auf und befahl die Abkehr vom Branntwein. Den Langeoogern soll er prophezeit haben, "daß keiner von ihnen zu retten sei, wenn sie sich nicht bekehrten und neu geboren würden." Zu Wiedergeburt und Bekehrung käme es aber erst dann, wenn die Insulaner die neue Lehre und eine neue (frommere) Lebensweise angenommen hätten.
Überliefert sind auch zwei Offenbarungen, die er auf Langeoog gehabt hat. Einmal, als der Langeooger Schiffer Johan Garmers im Sturm von der Insel weggetrieben wurde, da soll ihm Gott während eines Gebetes direkt ins Ohr gesagt haben, dass Garmers wieder an Land kommen würde. Die Insulaner, die das für unmöglich hielten, habe er zum Glauben aufgerufen. Und anderntags sei Johan Garmers tatsächlich auf die Insel zurückgekehrt. Im anderen Fall hatte sich Edde Garmers über eine all zu scharfe Predigt beschwert, doch Gott habe die Gebete des Husius erhört, er möge Garmers von seinem harten Herz befreien. Als Husius zu Edde Garmers kam um ihm Gottes Weisung zu verkünden, sei dieser daraufhin tatsächlich ganz bekehrt worden. (vgl.: Tongers, 3. Aufl., 1975, S. 77)
Pastor Johann Husius verließ die Insel 1697 nach nur zwei Jahren in tiefem Unfrieden mit den Insulanern, und wurde Prediger auf Norderney. Aber auch dort hatte er bald mit seinem missionarischem Eifer zur Umkehr die Gemeinde gegen sich aufgebracht. Er blieb bis zu seinem Tode 1712 auf Norderney.

Der Nachfolger von Husius: Pastor Böttcher
Die Überlieferungslage über Pastor Böttcher ist schon allein in der Sekundärliteratur gut genug, dass ihm ein eigener Textzyklus gewidmet ist. Siehe (Link). Auch sein Nachfolger Pastor Löwenstein, der von 1719 bis zur Entvölkerung der Insel 1721 im Amt war, wird dort erwähnt.