Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Vom Misslingen des Wiederaufbaus der Kirche nach 1717
Pastor Böttcher stirbt 1719 auf Kollektenreise, zwei Jahre später ist Langeoog entvölkert

Die katastrophale Weihnachtsflut 1717
Die Folgen der "Weihnachtsflut" waren für die gesamte Nordseeküste verheerend. Etwa 11.500 Menschen verloren ihr Leben, zahlreiche Deiche waren gebrochen, die Verluste an Pferden und Vieh, und an Hab und Gut beinahe unermesslich. Nur zwei Monate später traf eine erneute sehr schwere Sturmflut die vielerorts unbedeichte Küste. In der Folge breiteten sich Hunger und Krankheiten aus. Die Wirtschaft kam völlig zum Erliegen. Mancherorts waren bis zu 30 % der Bevölkerung in den Fluten umgekommen. Die Wirtschaftskraft erlaubte kaum den Wiederaufbau der Deiche, sodass viel Weideland immer wieder unter Wasser stand und zunehmend versalzte.

Langeoog: Vordergründig glimpflich davongekommen
Die Weihnachtsflut von 1717 ist durch viele überlieferte Augenzeugenberichte und durch amtliche Unterlagen sehr gut dokumentiert. Interessanterweise taucht Langeoog in den Berichten fast gar nicht auf. Ein Indiz vielleicht dafür, dass auf Langeoog die Schäden vergleichsweise gering waren. Immerhin hatten die Insulaner erst im Sommer ihre Hütten vom Melkhörn in den Westen gesetzt, der sich schon bei der Visitation ein paar Jahre zuvor als zunehmend stabil gezeigt hatte. Gott sei Dank, denn der Umzug bewahrte die Insulaner vor einer Katastrophe. Am Melkhörn hatten ihre einfachen Häuser um die Kirche herum gestanden, die Kirche aber, gerade einmal 11 Jahre alt, war eingestürzt, die Pastorei schwer beschädigt ...

Nur vier Familien bleiben übrig
In der Folge verließen sieben Familien die Insel, nur vier blieben übrig. Warum sie die Insel verlassen haben, ist nicht überliefert, ebensowenig wo sie hingezogen sind. In den Marschen längs der Küste dürfte die Lage nicht besser, wahrscheinlich sogar schlimmer gewesen sein als auf Langeoog. Wahrscheinlich war deshalb weniger der Zustand der Insel der Grund für den Fortzug, als mehr die nahen Verwandten in den Marschen des Harlingerlandes, denen man beim Wiederaufbau half. Vielleicht galt es Verwandte zu betrauern und zu Grabe zu tragen. Der eine oder andere junge Hausvater hatte möglicherweise die Hoffnung, im Deichbau bezahlte Arbeit zu finden, wo doch so viele Deiche landesweit gebrochen waren.

Eine Kirche für nur vier Familien?
Auf Langeoog war die Lage offenbar so gut, dass Pastor Böttcher ins Auge fasste, als erstes die Kirche wieder aufzubauen, und zwar diesmal im Westen. In einer entsprechenden Eingabe bei der fürstlichen Regierung in Aurich schreibt er
„im Namen unserer armen Gemeinde, so nur noch 4 Familien übrig seyn […] in tiefster Unterthänigkeit und viele Thränen Vergießungen, […] welcher gestalt in vergangener Weynachtsfluth bey der, Gott Erbarm es, durch die See so übergangen, die Kirche gantz heruntergefallen, auch mein Pastorenhaus totaliter ruiniret worden“ (Zitat aus: 100 Jahre Inselkirche). Es sei zwar noch einiges an brauchbarem Material vorhanden, aber weil die Insulaner gerade erst auf ihre eigenen Kosten in den Westen übergesiedelt waren, wollten sie jetzt nicht auch noch für die Überführung des Baumaterials aufkommen, zumal "eine halbe Meile Wegs zu Wasser und zu Land müßte umgefahren werden" (Zitat aus Herquet, 1883 ).
Bevor Fürst Georg Albrecht auf die Eingabe reagierte, fragte er seinerseits beim Amt in Esens an, ob es nicht angebrachter sei, die verbliebenen vier Familien auf einer anderen Insel anzusiedeln. Ganz sicher hatte die Regierung angesichts all der Not, wichtigeres zu tun, als den Wiederaufbau einer kleinen Kirche für vier Familien zu finanzieren. Aber aus Esens kam die Empfehlung, die vier Familien auf der Insel zu belassen. Geld für den Wiederaufbau gab Fürst Georg Albrecht dennoch nicht, stattdessen erging an den Pastor die Aufforderung, zu einer weiteren Kollektenreise aufzubrechen.

Des Pastors unselige Kollektenreise
Im Oktober 1718 brach Pastor Böttcher auf. In diesen schwierigen Zeiten Gelder einzutreiben war ein schwieriges Unternehmen. Wer wollte schon für den Wiederaufbau einer kleinen Inselkirche spenden, wo doch so viele selber alles verloren hatten. Andere Pastoren sammelten nicht für den Wiederaufbau von Kirchen, sondern weil ihren Armen-Kassen nicht ausreichten, um den Hungernden zu helfen.

Pastor Böttcher aber blieb beharrlich und reiste über Oldenburg und Bremen bis nach Hamburg. Viel Leid und Not waren dem Pastor auf seiner Reise begegnet, und hatten offenbar Spurenbei ihm hinterlassen. Als er Mitte Juli 1719 in Hamburg bei einem Freund der Familie eintraf, war er krank, verarmt, und dem Branntwein verfallen. Weil im Umkreis niemand diese heruntergekommene Person bei sich aufnehmen wollte, bezog Pastor Böttcher den Keller des Freundes, und überließ sich seiner Krankheit. Als der Freund ihn ein paar Tage später fragte, wie er sich bei alledem mit seinem Gott verstehen würde, antwortete dieser: "Gut genug". Am 3. August verstarb Pastor Christian Böttcher, ohne wieder auf die Beine gekommen zu sein. Die nicht gerade üppigen zehn Mark, die er von den wenigen Spendengeldern übrig behalten hatte, wurde seiner Frau zugesprochen. Auch Kleidung und Perücke bekam sie aus Hamburg überliefert.

1719: Böttchers Nachfolger Löwenstein tritt an
Der Nachfolger Böttchers im Pastorenamt, Georg. A. Löwenstein, erhält im Spätsommer 1720 die Aufforderung, die verbliebenen Materialien aufzulisten. Er berichtet "von denen da befindl. Materialien, was Steine betreffen, so werden nach unsern Gutdünken, zur Aufbauung eines Haußes genug dasein; Holz aber ist nichts mehr vorhanden, in dem die frembden solches alles weggestohlen" (Zitat aus "100 Jahre Inselkirche"). Auch Dachpfannen waren wohl noch in guter Anzahl vorhanden. Allerdings bräuchte man zwei Wagen zum Transport, es gebe auf der Insel keinen.

Die Neujahrsflut macht alles zunichte
Weil das Material bestenfalls für ein Haus, nicht aber für den Aufbau einer Kirche reichte, blieben die Trümmer zunächst am Melkhörn liegen. Doch alle Pläne und Überlegungen wurden zunichte,als in der Sylesternacht 1720/1721 die Küste erneut von einer sehr schweren Sturmflut getroffen wurde, die der Weihnachtsflut, die doch gerade erst drei Jahre zurücklag, an Wucht und Wellenhöhe in nichts nachstand. Auch von dieser sogenannten "Neujahrsflut" sind für Langeoog keine Schäden verzeichnet, wohl aber, dass auch die letzten vier Familien die Insel verließen, nachdem zwei der vier Hausväter auf See ums Leben gekommen waren. Zwei Jahre lang war die Insel gänzlich unbewohnt, und auch die Spur der Trümmer der Langeooger Kirche, die in der Heiligen Nacht des Jahre 1717 untergegangen war, verliert sich an dieser Stelle. Nur von der Glocke, die das kleine Giebeltürmchen zierte, ist bekannt, dass der Drost Christian Wilhem von Münnich sie zu seinem privaten Gebrauch nach Esens geholt hat.