Ein Pastor von zweifelhaftem Bildungsstand
Der Däne Christian Böttcher kam bei den Insulanern nicht gut an.
Vor 300 Jahren erlebte Langeoog eine dramatische Zeit, die schließlich in der Entvölkerung der Insel 1721 gipfelte. Die Geschehnisse damals um die unerträglichen Lebensbedingungen, den schrecklichen Flugsand und die ständige Bedrohung der zerrissenen Dünen durch Sturmfluten haben sich tief ins historische Bewusstsein der Insulaner eingebrannt. Einer der Inselbewohner, der eine eher zweifelhafte Berühmtheit erlangt hat, war der damalige Pastor Christian Böttcher (auch Böttcker, Bötcker oder Bötker), der von 1697 bis 1719 auf Langeoog seinen Dienst versah.
In den verschiedenen Büchern über die Geschichte Langeoogs oder Ostfrieslands gibt es viele aufschlussreiche Hinweise und Berichte über den umstrittenen Pietisten. Der umfassendste Bericht stammt dabei von Carl Herquet, der von 1878 bis 1886 Leiter des Preußischen Staatsarchivs in Aurich war. (Herquet, C.: "Miscellen [d.i. Vermischtes] zur Geschichte Ostfrieslands", 1883, S. 262-268).
Auch wenn sich die Berichte zum Teil widersprechen, oder nicht ganz eindeutig sind, kann man doch ganz sicher davon ausgehen, dass Böttcher bei den Insulanern genauso unbeliebt war, wie er seinerseits die Insulaner verachtete. In dem allgemein schlechten Bild, dass er in der Langeooger Historie abgibt, sollte man allerdings auch nicht die (gleichwohl wenigen) positiven Dinge übersehen, die er für seine kleine Gemeinde bewirkt hat. So ist es wohl ihm und seinem nicht zu unterschätzenden Einfluss auf das Ostfriesische Fürstenhaus zu verdanken (ein fürstlicher Kammerdiener war Taufpate seiner Söhne), dass Langeoog 1714 von allen steuerlichen Abgaben befreit wurde (Tongers, J.: "Unser Langeoog, wie es wurde", 1961, 3. Aufl. 1975, S71).
Böttcher hatte einen für einen Pastoren recht ungewöhnlichen Werdegang. Er stammte von der damals dänischen Insel Föhr, hatte erst Schneider gelernt, reiste als solcher durchs Land, und hatte sich dann als Soldat anwerben lassen. "Er diente nun acht Jahre als gemeiner Soldat und fünf als Korporal, worauf er von seiner Garnison Glücksstadt [sic] desertirte, angeblich weil man ihn zu einem Werbekommando schicken wollte" (Herquet, S. 263). Seine Flucht brachte ihn schließlich über Elbe und Weser nach Ostfriesland. In Westeraccum wäre er gern Lehrer geworden, aber er bekam die Stelle nicht. 1697 trat er schließlich sein Amt als Pastor und Lehrer auf Langeoog an, blieb aber erst noch eine Weile in Westeraccum und Dornum.
Sein Bildungsstand war eingedenk seiner Vorgeschichte wohl eher gering. Herquet schreibt: "Von den bei den Acten liegenden Eingaben und Berichten desselben rührt nichts von seiner Hand her, als die Unterschrift, die anfangs „Bötcker“ dann „Böttcher“ lautet. Auch die hie und da eingestreuten Lateinischen Phrasen dürften nicht auf seine Rechnung kommen. Nur ein ganz von seiner Hand geschriebener Privatbrief, an einen fürstlichen Beamten gerichtet, ist vorhanden. Er zeigt einen sehr ungeübten Ductus und schülerhaften Stil." (Herquet, S. 263)
Dazu kam, dass er als "Dähne gar schlecht, zerbrochen und gantz falsch deutsch predigte", wie es im Protokoll der Kirchenvisitation von 1700 heißt. (Smid, M.: "Kirchengeschichte Ostfrieslands", 1974, zitiert nach "100 Jahre Inselkirche", S. 48). Auch war er offenbar mit der Heiligen Schrift nicht sonderlich vertraut, denn es heißt dort auch, dass er im Gottesdienst die Schrift nicht erwähne, geschweige denn erkläre. Allerdings seien seine Predigten dennoch "einfältig, deutlich, erbaulich und schriftgemäß genug", also durchaus den Langeoogern zumutbar.
Männer und Weiber klagten erbärmlich
Die Unbeliebtheit des dänischen Pastors Christian Böttcher, der vor 300 Jahren seinen Dienst auf Langeoog versehen hat (1697 bis 1719), ist legendär. Schon die Ausgangslage war schlecht. Wie die meisten Pastoren vor ihm, war Böttcher nicht freiwillig auf der Insel, sondern weil er keine bessere Stelle bekommen hatte. Ein Auskommen gab es hier kaum.
Langeoog war ihm ein saurer Apfel, in den er zu beißen hatte. Dazu kommt, dass es von den Insulanern hieß, dass sie grundsätzlich nicht erfreut waren über die Anwesenheit von Predigern. So heißt es z.B. 1684 in einem Bericht, den Pastor Balthasar Arend aus Berdum/Wittmund über das Harlingerland, Spiekeroog und Langeoog schrieb, dass die Pastoren durchweg hofften, "daß sie von der hohen Herrschaft bald anders wohin zu ihrer Verbesserung gesetzet werden, welche Hoffnung dann solche Prediger in solcher Einsamkeit unter ihren widersinnigen Zuhörern mehrmalen tröstet und aufrichtet."
Aber die Insulaner waren nicht "widersinnige Zuhörer", weil sie sich dem Christentum verweigerten, sondern weil ihnen die Pastoren, insbesondere Christian Böttcher und sein Vorgänger Johann Husius, das Zuhören auch nicht besonders leicht machten. Beide predigten als kompromisslose Pietisten, und Böttcher verweigerte seiner Gemeinde sogar das Abendmahl, weil "sie aus lauter Heiden bestehe, die in Haß und Feindschaft und allen sonstigen Lastern lebten".
Der Pietismus war im Laufe des 17. Jahrhunderts in Folge der traumatischen Erlebnisse rund um den 30jährigen Krieg entstanden, der 1648 endete. Der Pietismus war eine Reformbewegung, die sich auch als Laien- und Heiligungsbewegung verstand. Wichtiger fast noch als Gottesdienste waren die "Bibelkreise" (oder "Hauskreise", Konventikel), die außerhalb des Gotteshauses stattfanden. Typisch für den Pietismus der damaligen Zeit war der missionarische Eifer seiner Anhänger. Es gab zwei Strömungen: Den lutherischen Pietismus, der sich in Deutschland verbreitete, und den reformierten Pietismus, der sich in Westfriesland und Holland ausprägte. In Ostfriesland, dessen Fürstenhaus dem lutherischen Pietismus nahestand, fanden sich beide Strömungen. Böttcher stand offenbar dem reformierten Pietismus näher (Smid). Die persönliche, gefühlsmäßige Erfahrung der Wiedergeburt stand im Mittelpunkt. Nur, wer innerlich zu Grunde gegangen und wieder auferstanden war, wer also bekehrt war, dem war es erlaubt, am Abendmahl teilzunehmen.
Es gibt viele Dokumente, die belegen, dass die Insulaner grundsätzlich einen Pastor und Schulmeister haben wollten, aber nicht einen solchen, der ihnen Trost und Segen verweigerte. Im Visitationsprotokoll von 1700 heißt es: „Die Männer und Weiber klagten erbärmlich und mit Trähnen , daß der Pastor sie noch immerhin vom Heiligen Abendmahl abwiese, auch noch biß dato ungeachtet Pastori damahls vom Hochfürstlichen Consistorio ernstlich anbefohlen, binnen denen ersten 14 Tagen einen alten Mann von 90 Jahren zur Heiligen Communion zu lassen, denselben dennoch bis dahero nicht bedienen wollen.“ (Smid, Menno: Ostfriesische Kirchengeschichte. In: Ohling, J.: Ostfriesland im Schutze des Deiches. Bd. VI. Pewsum, 1974. S. 364.)
Als Böttcher ab 1700 auf Kollektenreise war, um Gelder für den neuen Kirchbau zu sammeln, wurde er zeitweilig von seinem Vorvorgänger Hillardus Immen (der bis 1695 im Amt war) vertreten. Und der konstatierte schriftlich, "daß er bei den Anwohnern eine recht ansehnliche Begierde nach ihrer Seelen Schutz gefunden, weshalb er ihnen auch das Abendmahl gereicht, und daß sie großes Verlangen nach einem Schulmeister trügen, der ihre ganz wild aufwachsenden Kinder im Christentume unterweise (December 1701)" (Herquet, S. 265)
Ob sich die Insulaner dem Pietismus Böttchers bewusst verweigerten, oder ob sie des Pastors schlechtes Deutsch einfach nicht "verstanden" (Tongers, 1975, S.78), oder ob sie ihn einfach wegen seines unbequemen Charakters ablehnten ist offen, fest steht, dass es im Laufe der 22 Jahre, die Christian Böttcher Pastor auf Langeoog war, auch jenseits der neuen Lehre immer wieder zu Spannungen zwischen den Insulanern und ihrem Pastor gekommen ist. Dazu mehr in der nächsten Ausgabe der Langeoognews.