Peter Kremer M.A. Geogr./Philos.

Pastor Böttcher: Streitereien zwischen Kirche und Gemeinde
Der unbeliebte Pastor Böttcher und die Insulaner zeigen sich um 1700 unversöhnlich. Immer wieder muss der Esenser Drost von Münnich eingreifen

 

Kaum hatte der dänische Pastor Christian Böttcher 1697 seinen seinen Dienst auf Langeoog angetreten, kam es zu ernsten Auseinandersetzungen mit seiner Gemeinde. Das lag nicht nur an dem unversöhnlichen Pietismus, den der Pastor vertrat, sondern auch an seinem nicht weniger unversöhnlichen Charakter. Umgekehrt machten es ihm die Insulaner oftmals auch nicht gerade leicht.

Schon beim Amtsantritt des Pastors war es zum Streit gekommen. Ungeachtet der großen Armut auf der Insel, forderte Böttcher von den Insulanern die ihm zustehenden sechs Reichsthaler „Einzugsgeld“. Das war viel Geld für die Langeooger, zumal jede Familie zusätzlich jährlich zwei Rthl. zum Salär des Pastors beizutragen hatte. Deswegen weigerten sie sich, das Einzugsgeld zu zahlen. Pastor Böttcher schaltete daraufhin das Amt zu Esens ein, welches schließlich sogar den doppelten Betrag "durch Execution von ihnen erhob" (Herquet, S. 263).

Dass der Pastor schon bald seiner Gemeinde das Abendmahl verweigerte, weil er sie als unwürdig befand, darüber hatten wir bereits berichtet. Und weil darüber hinaus seine Predigten auch nicht erbaulich waren, verweigerten sich die Insulaner ihrerseits den Gottesdiensten. Nachdem der Pastor an sieben Sonntagen hintereinander die Flagge gehisst hatte (in Ermangelung einer Glocke war es damals üblich, mittels einer Flagge zum Gottesdienst zu rufen), aber niemand gekommen war, wurde es ihm zu bunt, und er siedelte mit seiner Familie nach Dornum über, und ließ sich nur noch selten auf der Insel blicken. Er hoffte auf eine Anstellung als Lehrer in Westeraccum.

Auch in Dornum feindete er sich bald mit der Gemeinde an. Im Frühjahr 1699 kam es dort regelrecht zu Tumulten, bei denen sich Böttcher übel beschimpfen lassen musste. Bei der anschließenden amtlichen Untersuchung dieses Vorfalles, bestätigten auch die Langeooger, "daß er ihnen einen neuen Glauben aufdrängen wolle und sich auf der Kanzel in Fluchen, Schwören und in den gräulichsten Verdammungen gegen sie ergehe." (Herquet, S. 263)

Als die Langeooger 1699 ihre Häuser vom Westen in die Mitte der Insel versetzten, wohnte die Pastorenfamilie immer noch in Dornum. Deshalb unternahmen die Insulaner zunächst keinerlei Anstrengungen, auch Kirche und Pastorei, die noch im Westen standen, zu versetzen. Weil sie dem Pastor bei seinen wenigen Besuchen auch keine Unterkunft in ihren neu errichteten Häusern gewährten, wandte sich Böttcher abermals an den Drosten in Esens. Der beschied in aller Deutlichkeit, dass die Insulaner Kirche und Pastorei in der Mitte der Insel errichten sollten, und „bis dahin aber ihrem Pastori und desselbigen Hausgesinde in erwähnten ihren versetzten Häusern eine bequeme Wohnung und Aufenthalt forderlichst verschaffen.“ Pastor Böttcher wurde befohlen, wieder dauerhaft auf die Insel überzusiedeln. Die Insulaner sollten ihn „sammt seiner Frauen, Kindern und Lebensmitteln respective von dem Westeraccumer- und Benser-Siel mit einem ihrer Schiffe dahin abholen“. (6. 11. 1699, Herquet, S. 264)

Schon kurz nach Weihnachten, im Januar 1700, musste der Esenser Drost Anton Günther von Münnich erneut schlichtend eingreifen. Die Insulaner beklagten sich, dass der Pastor immer noch nicht auf der Insel erschienen sei, und dass er sich Weihnachten sogar geweigert habe, ihnen zu predigen. Bei näherer Untersuchung stellte sich dann jedoch heraus, dass der Pastor sehr wohl auf der Insel gewesen ist und einen Gottesdienst abgehalten habe, nur aber die Gemeinde mal wieder geschlossen zu Hause geblieben war.

Als die Insulaner immer noch keine Anstalten machten, Kirche und Pastorei in die Mitte der Insel zu versetzen, kam es erneut zu einer Kirchenvisitation. Tatsächlich sah man von Amts wegen ein, dass Kirche und Pastorei so baufällig waren, dass die noch verwertbaren Materialien gerade mal ausreichten, eine neue Pastorei zu bauen. Dies aber habe innerhalb von 14 Tagen zu geschehen. Ein neuer Kirchbau sollte dagegen durch Kollektenreisen des Pastors finanziert werden. Im Juni 1700 brach er auf, und ward die folgenden zwei Jahre wieder nur selten auf der Insel gesehen .

So war Pastor Böttcher auch nicht anwesend, als zu Beginn des Jahres 1702 ein Schiff vor Langeoog strandete. Kapitän und Besatzung überlebten das Unglück, und auch die Ladung (Tabak und Stückgut im Wert von geschätzten 40.000 Rthl.) konnte geborgen werden. So durfte der Bremer Reeder seine Ladung behalten, musste aber an das ostfriesische Fürstenhaus mehrere Tausend Rthl. „Bergegeld“ zahlen. Das Bergegeld schließlich wurde nach geltendem Strandrecht unter den Insulanern, dem Inselvogt, der Drostei und der fürstlichen Strandkasse aufgeteilt. Auch dem Pastor stand nach geltendem Recht ein gewisser Anteil zu, doch weil er auf Reisen war, teilten sich die Insulaner seinen Anteil untereinander auf, ohne seine Frau und seine Kinder zu berücksichtigen. 125 „Goldgulden“ (die nicht aus Gold und weniger wert waren als die Reichsthaler) standen den einzelnen Familien zu, mancher hatte seinen Anteil unrechtmäßig auf bis zu 175 „Goldgulden“ (zirka 116 Rthl.) erhöht. Schließlich war es wieder der Drost von Münnich, der dem Pastor über den Amtsweg zu seinem Recht verhelfen musste. Die Insulaner mussten das zuviel einbehaltene Geld wieder herausgeben, und „der Pastor auff Langeoog soll von dem gestrandeten Schiff haben in Summa = 140 Goldgulden.“ (Tongers, S. 60)

Von einem entspannten Verhältnis zu ihrem Pastor waren die Langeooger also rund fünf Jahre nach dessen Dienstantritt noch weit entfernt. Und Böttchers Kollektenreisen trugen auch nicht gerade zur Befriedung der Situation bei. Dazu aber ein eigener Text.

Die ersten beiden Kollektenreisen
Auch seine ersten beiden Kollektenreisen zwischen 1700 und 1702 für den Neubau einer Kirche werden ihm bisweilen positiv angerechnet, weil sie die den schließlich 1706 vollendeten Kirchbau beschleunigt hätten. Doch u.a. in dem umfassendsten Bericht, der uns über Böttcher vorliegt, erscheinen diese Kollektenreisen in einem weniger günstigen Licht. Der Bericht wurde 1883 von Carl Herquet geschrieben, dem damaligen Leiter des Preußischen Staatsarchivs in Aurich (Herquet, C.: "Miscellen [d.i. Vermischtes] zur Geschichte Ostfrieslands", 1883, S. 262-268).

Anlass für diese Kollektenreisen war – wir berichteten – der Umzug des Langeooger Inseldorfes 1699 vom Westende in die Mitte der Insel. Die Insulaner hatten zwar ihre eigenen Häuser versetzt, aber Kirche und Pastorei aus verschiedenen Gründen zurückgelassen.

Der Pastor lebte mit seiner Familie, obwohl schon zwei Jahre im Amt, immer noch auf dem Festland, und wenn er denn mal zum Gottesdienst auf der Insel war, tat er sich durch Fluchen und Schwören hervor, und verweigerte der unchristlichen Gemeinde das Abendmahl. Und "weil sie nun ihr sämmtlich geringes Vermögen an Umsetzung ihrer Häuser verwendet, so haben sie für sich keine Mittel, besagte ihre Kirche, welche an dem jetzigen Orte, so von ihren Wohnungen jetzo fast eine Meile entlegen, meistenteils gar unterm Sand bedeckt ist, gleichfalls zu translociren und wieder aufzubauen.“ (Herquet, S. 265)

Weil aber die Kirche sowieso baufällig war, gab Fürst Christian Eberhard schließlich die Anweisung, dass eine neue Kirche zu bauen sei, und dass Pastor Böttcher durch eine Kollektenreise die Gelder dafür eintreiben solle. Noch bevor er aufbrach, siedelte er seine Familie nun doch auf Langeoog an. Ende September bis Mitte November war Böttcher in Hamburg, danach war er zunächst wieder auf Langeoog. Herquet bemerkt zu dieser Reise: "Die in seinem Collectenbuch verzeichneten Gaben sind so gering, daß er wol an Reisegeld mehr verbrauchte."

Im Frühjahr 1701 brach der Pastor erneut auf, seine Reise führte ihn diesmal nach Lübeck, wo er sich den Sommer über eine ganze Weile aufhielt. Danach verliert sich mysteriöserweise seine Spur, und die Langeooger hörten einige Monate nichts von ihm. Die Insulaner waren einerseits wahrscheinlich froh, dass der ungeliebte Pastor solange abwesend war, andererseits ist überliefert, dass sich die Insulaner beim Fürstenhaus beklagten, dass sie nun gänzlich ohne kirchlichen Beistand seien. Deshalb wurde Böttchers Vorvorgänger Hillardus Immen kurzzeitig auf die Insel geschickt, der hernach angab, "daß er bei den Anwohnern eine recht ansehnliche Begierde nach ihrer Seelen Schatz gefunden, weshalb er ihnen auch das Abendmahl gereicht, und daß sie großes Verlangen nach einem Schulmeister trügen, der ihre ganz wild aufwachsenden Kinder im Christentume unterweise (December 1701)" (Herquet, S. 265)

Als die zurückgebliebene Frau des Pastors im Februar 1702 eine Tochter gebar, weigerte sie sich standhaft, sie von Pastor Immen taufen zu lassen. Der maße sich Dinge an, die ihm als unchristlichen Manne, der ein Spieler und Trinker sei, nicht zustünden, z.B. den Heiden-Insulanern das Abendmahl zu reichen. Lieber wolle sie warten, bis ihr Mann zurückkäme und die Tochter persönlich taufe. Soweit kam es aber nicht, weil das Töchterchen, von ihrer Mutter notgetauft, im noch im März des Jahres 1702 verstorben war.

Pastor Böttcher aber blieb weiterhin verschollen. Nach Angaben seiner Frau war er zwischenzeitlich in Königsberg und Kopenhagen gewesen, und sie machte auch keinen Hehl daraus, dass es ihrem Gatten mitnichten nur um das Sammeln von Geldern für den Kirchbau gehe, sondern um die Verbreitung der rechten christlichen Lehre, dass er also missionarische Ziele verfolge. Erst als die Drostei mehrmals gedroht hatte, Pastor Böttcher seines Amtes zu entheben und durch einen anderen Geistlichen zu ersetzen, kam er im Juli 1702 endlich zurück nach Langeoog. Die Bilanz seiner Kollektenreise war so ernüchternd, dass er erst nach mehrmaligen Aufforderungen die Rechnungsablage vorlegte. Zudem "erklärte er, daß er einen Teil der Collectengelder für sich habe verbrauchen müssen, da er nicht mehr als 55 Taler fest einzunehmen habe" (Herquet, S. 266)

Noch bis 1706 dauerte es, ehe die Kirche schließlich mit Hilfe eines aus Strandgeldern und Kollekten eingerichteten Baufonds gebaut werden konnte. Dass die ersten Kollektenreisen des Pastors Christian Böttcher zwischen 1700 und 1702 den Neubau beschleunigt hätten, ist also etwas optimistisch ausgedrückt, denn es handelte sich ja nicht um ein großes Bauwerk, das lange Planungszeit benötigte, sondern um ein kleines Kirchlein von gerade mal 7 x 10 Meter Größe.